eXma » Diskutieren » Dies und das
Startseite - Veranstaltungen - Mitglieder - Suche
Vollständige Version anzeigen: Demokratie und Überwachung
JoSchu
Dieses Thema wurde von "Fall Pfitzmann wird öffentlich" ausgegliedert.

@calyx: Wunderbarer Post. Du sprichst mir aus der Seele. *applaudier*

Zitat(neo @ 13 May 2005, 18:51)
vielleicht sollte man einfach mal für eine zeitlang auf jede überwachung verzichten, vielleicht gefällt euch ja anarchie besser...wenn nur noch das recht des stärkeren regiert..demokratie erfordert überwachung, und wenn es garnicht mehr anders geht eben auch mit videokamera an öffentlichen (!!) orten

Die Demokratie hat 200 Jahre (2000, wenn wir die Römer und Griechen mitrechnen) gehalten und den größten Teil davon ohne elektronische Überwachung. Warum sollte jetzt plötzlich das System zusammenbrechen?
Im Übrigen: Würde das System ohne Überwachung tatsächlich zusammenbrechen, wäre es es dann überhaupt wert, es zu erhalten? (dumme syntax, ich weiß).
Chris
Zitat(JoSchu @ 03 Jun 2005, 21:26)
@calyx: Wunderbarer Post. Dus srpichst mir aus der Seele.  *applaudier*
Die Demokratie hat 200 Jahre (2000, wenn wir die Römer und Griechen mitrechnen) gehalten und den größten Teil davon ohne elektronische Überwachung. Warum sollte jetzt plötzlich das System zusammenbrechen?
Im Übrigen: Würde das System ohne Überwachung tatsächlich zusammenbrechen, wäre es es dann überhaupt wert, es zu erhalten? (dumme syntax, ich weiß).
*


Welche Demokratie hat 200 Jahre gehalten? In Europa ist mir noch kein Land bekannt, dass auf 200 Jahre Demokratie zurückblicken kann. Das einzige Land, das mir spontan in der Nähe dieser 200 Jahre einfallen würde, ist die USA. Aber dort, war es auch bis ans Ende des 19ten Jahrhunderts, ähnlich wie in Griechenland oder Rom eine Art demokratische Oligarchie. Warum in Griechenland und Rom? Weil dort nämlich nur die Bevölkerung der Hauptstadt gefragt wurde. Der Rest hatte kein Stimmrecht. Warum in USA? Weil es dort auch noch heutzutage auf dem Land einfach keinen interessiert, was irgendjemand entscheidet. Wenn es bis zum nächsten Dorf 50 Meilen weit ist, hat man natürlicherweise kein gesteigertes Interesse an der Politik.

Wozu wir Überwachung brauchen? Weil die Moral verfällt. Früher gab es auch schon Überwachung, nur halt in einer anderen Art und Weise. Man hat oft mit seiner Familie im Haus und auf dem Dorf gelebt. Dort kennt jeder jeden, und wenn irgendwas passiert ist, wusste es sofort jeder. Und der Respekt vor anderen Menschen wurde einem schon vom Vater eingedroschen, wenn man es selber nicht gelernt hat.

Heutzutage leben viele Menschen in einer anonymen Stadt. Mit etwas Glück kennt man noch die Nachbarn, aber dann hört es schon auf. Der Vater darf auch nicht mehr prügeln und das Fernsehen beweist täglich, wie weit man ohne Respekt vor anderen Menschen kommt. Und eben genau um diesen respektlosen Menschen beizukommen, muss man diverse Überwachungsinstrumente installieren. Das war in frühere Zeit der Polizist, in heutiger Zeit eben die Kamera.

Nun es gibt auch nichts schlechtes an der Überwachung. Lediglich die heutigen technischen Möglichkeiten sind böse. Denn durch diese können Überwachungsdaten ständig überall vorgehalten und vernetzt werden. Und vor allem können sie gespeichert werden. Insofern unterscheiden sie sich vom Polizist des letzten Jahrhunderts. Dieser erwischte jemanden, als er eine Tat beging und der Täter bekam seine Strafe. Mit der modernen Technologie erwischt man auch alle, die keine Tat begehen.
JoSchu
Zitat(Chris @ 03 Jun 2005, 20:49)
Welche Demokratie hat 200 Jahre gehalten? In Europa ist mir noch kein Land bekannt, dass auf 200 Jahre Demokratie zurückblicken kann. Das einzige Land, das mir spontan in der Nähe dieser 200 Jahre einfallen würde, ist die USA.

Frankreich (wenn man mal die paar Jahre deutscher Besatzung abzieht)?

Zitat
Wozu wir Überwachung brauchen? Weil die Moral verfällt. Früher gab es auch schon Überwachung, nur halt in einer anderen Art und Weise. Man hat oft mit seiner Familie im Haus und auf dem Dorf gelebt. Dort kennt jeder jeden, und wenn irgendwas passiert ist, wusste es sofort jeder. Und der Respekt vor anderen Menschen wurde einem schon vom Vater eingedroschen, wenn man es selber nicht gelernt hat.

Heutzutage leben viele Menschen in einer anonymen Stadt. Mit etwas Glück kennt man noch die Nachbarn, aber dann hört es schon auf. Der Vater darf auch nicht mehr prügeln und das Fernsehen beweist täglich, wie weit man ohne Respekt vor anderen Menschen kommt.  Und eben genau um diesen respektlosen Menschen beizukommen, muss man diverse Überwachungsinstrumente installieren. Das war in frühere Zeit der Polizist, in heutiger Zeit eben die Kamera.

Wenn es tatsächlich nur darum ginge, wäre das Geld für die Überwachung doch in Erziehung und Bildung viel besser aufgehoben, oder?
Chris
Zitat(JoSchu @ 03 Jun 2005, 21:58)
Frankreich (wenn man mal die paar Jahre deutscher Besatzung abzieht)?

Wenn es tatsächlich nur darum ginge, wäre das Geld für die Überwachung doch in Erziehung und Bildung viel besser aufgehoben, oder?
*

Frankreich ist frühestens seit 1870 so etwas wie eine Demokratie zu nennen, in der restlichen Zeit seit der französischen Revolution war es ein Konsulat, und zwei Kaiserreiche. Und heute nennt sich der ganze Apparat parlamentarisch-presidiale Republik.

Ja, das Geld wäre definitiv besser in der Bildung aufgehoben wink.gif
JoSchu
OK, ich bin da nicht so bewandert. Es ging mir auch mehr darum, dass die Demokratie sich praktisch über 2000 Jahre durchgesetzt hat und somit wohl kaum das labile System sein kann, als das neo es beschreibt.
Chris
Zitat(JoSchu @ 06 Jun 2005, 16:36)
OK, ich bin da nicht so bewandert. Es ging mir auch mehr darum, dass die Demokratie sich praktisch über 2000 Jahre durchgesetzt hat und somit wohl kaum das labile System sein kann, als das neo es beschreibt.
*


Ich seh das ein bisschen anders. Es herrscht immer ein Wandel der Systeme. Es läuft immer bis der Knackpunkt des Systems zu stark zum tragen kommt, dann gibt es eine Revolution und das System wird umgestürzt. Ich erachte bei weitem das demokratische System nicht als optimal. Dazu hat es zuviele Faktoren, die "Menschen" genannt werden. Für eine korrekte demokratische Beteiligung sind heutzutage die Amtswege noch zu lange. Darüberhinaus finde ich, dass in vielen Punkten eine echte Demokratie keine echte demokratische Entscheidung fällen kann. Z.B. Waldschlösschenbrücke. Den meisten Leuten sind schon kleine Details, wie, dass man für die nächsten 30 Jahre mit keinem nennenswerten Stadtwachstum rechnet, nicht bekannt. Wie sollen diese Leute entscheiden können, ob es sinnvoll dort eine Brücke zu bauen, anstatt das Geld in den öffentlichen Nahverkehr zu pumpen. Die meisten Entscheidungen in einer Demokratie sind meiner Meinung nach egoistisch und nicht durch das Gemeinwohl motiviert. Auch wenn man die Basisdemokratie abspeckt, um bei einem System zu landen, dass im Moment in Deutschland praktiziert wird, bleibt das Problem. Dadurch fällen nun aber nicht mehr alle Leute Entscheidungen, die keinem gefallen sondern nur ein kleines Grüppchen. Hinzu kommt, dass diese das letzte Jahr von 3 Jahren sich im Wahlkampf befinden und nur noch populistisch entscheiden, um sich dem Volk anzubiedern (eben nicht um das Gemeinwohl zu stärken, sondern um in der nächsten Periode die Wahl zu erlangen). Langfristige Politik ist hier nicht drin, weil alle 4 Jahre Erfolge gesehen werden müssen. Ich halte eine Monarchie mit einem gütigen Herrscher, und einem objektiven Beraterstab als am erfolgverprechendsten für ein tolles Leben füralle. Doch auch dieses System hat einen Knackpunkt, nämlich einen gütigen Herrscher zu finden.
JoSchu
Zitat(Chris @ 06 Jun 2005, 16:02)
Für eine korrekte demokratische Beteiligung sind heutzutage die Amtswege noch zu lange.

Vollkommen richtig. Der Staat muss unbedingt abspecken.
Zitat
Darüberhinaus finde ich, dass in vielen Punkten eine echte Demokratie keine echte demokratische Entscheidung fällen kann. Z.B. Waldschlösschenbrücke. Den meisten Leuten sind schon kleine Details, wie, dass man für die nächsten 30 Jahre mit keinem nennenswerten Stadtwachstum rechnet, nicht bekannt. Wie sollen diese Leute entscheiden können, ob es sinnvoll dort eine Brücke zu bauen, anstatt das Geld in den öffentlichen Nahverkehr zu pumpen.

Gut, aber das liegt dann wieder daran, dass die Obrigkeit es nicht für sinnvoll erachtet, die Bürger über diese Details zu informieren. Es mag sein, dass sich such viele dafür nicht interessieren - das liegt dann aber meiner Meinung nach wirklich daran, dass sie der Meinung sind, es werde ohnehin an ihnen vorbeientschieden. Wenn das Volk endlich wieder als Souverän ernst genommen wird, wird es sich auch mehr für diese Belange interessieren.
Zitat
Die meisten Entscheidungen in einer Demokratie sind meiner Meinung nach egoistisch und nicht durch das Gemeinwohl motiviert.

Richtig, aber hier funktioniert Demokratie wie Kapitalismus. Mit der unsichtbaren Hand vom Egoismus zum Gemeinwohl (Locke sagte das, oder?). Im Übrigen sollte es sich lohnen, politische Systeme im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Systemen zu beleuchten. Kapitalismus funktioniert zum Beispiel nur in einer Demokratie.
Zitat
Auch wenn man die Basisdemokratie abspeckt, um bei einem System zu landen, dass im Moment in Deutschland praktiziert wird, bleibt das Problem. Dadurch fällen nun aber nicht mehr alle Leute Entscheidungen, die keinem gefallen sondern nur ein kleines Grüppchen. Hinzu kommt, dass diese das letzte Jahr von 3 Jahren sich im Wahlkampf befinden und nur noch populistisch entscheiden, um sich dem Volk anzubiedern (eben nicht um das Gemeinwohl zu stärken, sondern um in der nächsten Periode die Wahl zu erlangen). Langfristige Politik ist hier nicht drin, weil alle 4 Jahre Erfolge gesehen werden müssen.

Alles vollkommen korrekt, was du sagst. Deshalb ist nur die Basisdemokratie für mich die echte Demokratie. Gerade in einem Parteiensystem ist es oft so, dass du mit einer gewissen Meinung einer Partei beitrittst, die dann auf Kreisebene anpasst, die Kreismeinung wird auf Länderebene angepasst, die Ländermeinung auf Bundesebene, dann vielleicht nochmal auf EU-Eebene und ehe man es sich versieht, verliert man die eigene Meinung. Das hat für mich nichts mit Demokratie zu tun.
Zitat
Ich halte eine Monarchie mit einem gütigen Herrscher, und einem objektiven Beraterstab als am erfolgverprechendsten für ein tolles Leben füralle. Doch auch dieses System hat einen Knackpunkt, nämlich einen gütigen Herrscher zu finden.

Das letztere ist das Problem. Man braucht einen Menschen, den Macht nicht verderben kann - und so jemanden gibt es einfach nicht. War es Mao-tse-tung, der immer das Volk befragen wollte und als sie ihm widersprachen, die Delegierten köpfen ließ und nie wieder einen Plebiszit durchführte? Jeder Retter wird irgendwann zum Tyrann, wenn man ihm keinen Einhalt gebietet. Deshalb funktioniert die Monarchie nicht.
Theo
Zitat(JoSchu @ 06 Jun 2005, 18:14)
Jeder Retter wird irgendwann zum Tyrann, wenn man ihm keinen Einhalt gebietet. Deshalb funktioniert die Monarchie nicht.

Um die Aussage zu widerlegen reicht ein Gegenbeispiel. Nun sind die Geschichtsstudenten unter uns gefragt: Gab es einen König/Kaiser der gut regiert hat und nicht zum Tyrann wurde?

JoSchu
Bevor sich die anderen jetzt das Hirn zermartern, gleich mal vorbeugend meine Antwort auf einen etwaigen Kandidaten:
Er hat einfach nicht lange genug gelebt, um zum Tyrannen zu werden. wink.gif

Aber ich versteh, worauf die hinaus willst. Verifikation und Falsifikation lernen sogar wir Psycho-Studenten. happy.gif
VTOL
Ja gab es. Der Begriff Tyrann war ursprünglich nicht negativ behaftet und bedeutete einfach nur Staatsoberhaupt (König, Kaiser wasauchimmer) im alten vordemokratischen Griechenland. Aber es spricht ja für sich, daß der Begriff nun so negativ behaftet ist. Es hat offensichtlich nicht nur gute Herrscher gegeben...
Chris
Übrigens stand weder im alten Rom noch im alten Griechenland eine Strafe auf Tyrannemord.