Marschflugkörper für IranVon Konrad Schuller, Warschau

Kutschma während seiner Amtszeit
31. März 2005 Daß das Regime des gestürzten ukrainischen Präsidenten Kutschma im internationalen Waffenhandel eine gewichtige Rolle gespielt hat, ist spätestens seit der „Koltschuga”-Affäre von 2002 bekannt. Die Ukraine soll damals, wenige Monate vor dem Krieg, dem Irak Flugabwehrradare vom Typ Koltschuga geliefert haben, die angeblich so hoch entwickelt waren, daß sie selbst die amerikanischen Tarnkappenbomber noch orten konnten.Wie weit die Kiewer Oligarchie, Kutschmas Klüngel aus emporgeschossenen postsowjetischen Milliardären und Regionalpotentaten, jedoch zu gehen bereit war, ist erst nach dem Sturz des Präsidenten bekanntgeworden. Im Februar, unmittelbar nach dem Machtantritt des früheren Oppositionsführers Juschtschenko, gab die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft bekannt, daß das alte Regime sich offenbar mit dem Export konventioneller Waffen nicht zufrieden gegeben hatte.
Beunruhigende LieferungAlles spreche dafür, daß zur Zeit Kutschmas auch unbemannte Fluggeräte für den Transport von Atombomben, sogenannte Marschflugkörper, aus der Ukraine den Weg ins Ausland gefunden hätten. Dabei schien die Nachricht, daß sechs solche Geräte an China gegangen seien, noch am wenigsten beunruhigend. China ist ohnehin Atommacht, und eine Handvoll zusätzlicher Waffen verändert die Machtbalance im Fernen Osten nicht wesentlich.
Alarmierender war der zweite Empfänger: Es soll sich um Iran handeln, den muslimischen Gottesstaat, der immer noch nicht bereit ist, Israel anzuerkennen, der im Vierteljahrhundert seiner Existenz immer wieder als Auftraggeber politischer Terrorakte aufgetreten ist und der heute fast unverhüllt danach strebt, die Technologie zum Bau eigener Atombomben zu erwerben.
In dieser Woche, zwei Monate nach den ersten Auskünften über das Geschäft, hat das ukrainische Außenministerium neue Details über die Struktur jener Netzwerke bekanntgegeben, die den Handel eingefädelt haben. Demnach soll das Iran-Geschäft vom Jahr 2001 zur Täuschung eventueller Kontrolleure als Export nach Rußland getarnt gewesen sein. Die Täter, Russen, Ukrainer und Australier, hätten sich für die Lieferung gefälschte Empfangsbestätigungen des russischen Staatsunternehmens Roswooruschenie beschafft und auf diese Weise den wahren Empfänger - Iran - verschleiert.
Auf ukrainischer Seite haben dabei nach Angaben des Abgeordneten Omeltschenko, eines Mitglieds im Antikorruptionsausschuß des ukrainischen Parlaments, Führungsleute der Exportfirma Ukrspezexport sowie des Geheimdienstes SBU von dem Geschäft profitiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt - doch sie ermittelt im Wettlauf gegen die Zeit, weil auch in diesem Fall, wie so oft, wenn es um die Machenschaften des Regimes Kutschma geht, ein mysteriöses Sterben potentieller Zeugen begonnen hat. Zwei mutmaßliche Komplizen des Schmuggels sind bereits bei „Autounfällen” umgekommen.
Bedeutende ProduktionsanlagenWaffenexporte - legale und illegale - sind seit der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1991 ein Hauptpfeiler der ukrainischen Wirtschaft. Der neue Präsident Juschtschenko hat ihr Volumen unlängst auf 385 Millionen Euro im Jahr beziffert. Dabei profitiert das Land davon, daß es zu Zeiten des Kalten Krieges einer der wichtigsten Standorte der sowjetischen Rüstungsindustrie war. Bis heute unterhält die Ukraine bedeutende Produktionsanlagen für Panzer, Raketen und Flugzeuge, unter anderem die Antonow-Werke, wo eines der größten Transportflugzeuge der Welt gebaut wird.
Auch die Marschflugkörper, die offenbar nach China und Iran verkauft wurden - nach sowjetischer Nomenklatur tragen sie den Namen Kh-55, nach amerikanischer die Ziffer AS-15 -, stammten aus dem sowjetischen Erbe. Sie können von Tupolew-Langstreckenbombern aus gestartet werden, um danach in extremem Tiefflug das gegnerische Abwehrradar zu unterfliegen.
Delikate BalanceIran besitzt zwar keine Flugzeuge dieser Art, doch Fachleute glauben, daß die ebenfalls sowjetischen Su-24 der iranischen Luftwaffe mit leichten Umbauten ebensogut Marschflugkörper tragen können. Einmal gestartet, beträgt die Reichweite der Kh-55 3000 Kilometer - Israel wäre damit in Reichweite. Allerdings waren in der Lieferung aus der Ukraine die Atombomben selbst, für deren Transport der Flugkörper ausgelegt ist, nicht enthalten. Die müßte Iran sich auf anderem Wege beschaffen.
Die neue ukrainische Führung versucht unterdessen, beim Thema Waffenexport eine delikate Balance zu bewahren. Einerseits unterstützt sie offenbar die Aufklärung vergangener Verfehlungen, um dadurch das gestürzte Regime Kutschma zusätzlich zu delegitimieren.
„Aggressive Geschäftsphilosophie”Andererseits versucht sie, den Ruf der ukrainischen Rüstungsindustrie weltweit zu bessern, weil das Land auf die Devisen aus diesem Geschäftszweig auch nach dem Regimewechsel nicht verzichten will. Präsident Juschtschenko selbst hat unlängst die Branche ermahnt, künftig strikte Transparenz zu wahren - nicht allein um Schiebereien zu verhindern, sondern auch „weil wir durch Waffenskandale international Kunden verlieren”.
Vor allem aber müsse die Industrie neue Produkte entwickeln, statt sich wie bisher allein auf das sowjetische Erbe zu verlassen. Der Exportfirma Ukrspezexport, derselben, deren Mitarbeiter vermutlich noch im Jahr 2001 das Iran-Geschäft abgewickelt haben, hat der Präsident erst am Dienstag die neue Linie vorgegeben: „Ich erwarte von Ihnen eine neue, aggressive Geschäftsphilosophie.”
Text: F.A.Z., 01.04.2005, Nr. 75 / Seite 6
Bildmaterial: AP
Quelle:
Faz.net