Die letzten Überlebenden deutscher Konzentrationslager werden bald sterben. Umso wichtiger sind die Funde der Archäologen. Sie bergen Geschichten, die oft so entsetzlich sind, dass kaum jemand sie erzählen will
Von Kai Michel

© Peter Hansen/Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora
Maulwürfen fehlt es an historischem Bewusstsein. Was ihnen im Weg ist, entsorgen sie im nächsten Hügel. Ronald Hirte inspiziert ihre Haufen regelmäßig. Auch diesmal hat er Glück. Eine Scherbe ragt aus der dunklen Erde. »Ein Stück Suppenschüssel«, sagt der 35-jährige Archäologe mit Kennerblick. Erstaunlich. Hatten die Häftlinge nicht nur Blechnäpfe? Hirte nickt. »Stammt auch aus der SS-Kantine.« Aber gegen Ende des Kriegs ging im Lager das Geschirr aus. Da bekam man sogar im KZ Porzellan.
Mit dem Müll des Konzentrationslagers Buchenwald kennt sich Ronald Hirte aus. Er hat einen Abfallhaufen archäologisch untersucht und Abertausende Gegenstände aus dem Boden geholt: Neben Knöpfen, Häftlingsmarken und Zahnprothesen fand Hirte Löffel, deren Griffe zu Klingen geschmiedet waren, zu Kämmen umfunktionierte Lineale und eine verbeulte Aluminiumschüssel, in die in kyrillischer Schrift der Satz eingeritzt ist: »Nimm deine Schüssel, nicht meine, Zigeuner.«
Hirte gehört zu einer jungen Generation von Archäologen, die materielle Überreste des nationalsozialistischen Terrorsystems ausgraben.
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Quelle: Die Zeit