Wiglaf Droste, Uschi Brüning U.a.
Scheune
am Mittwoch den 14.09.2011
Wiglaf Droste, Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky
Meine ostdeutschen Adoptiveltern und ihr missratener Sohn aus dem Westen


Auf Tournee zur CD “Meine ostdeutschen Adoptiveltern und ihr missratener Sohn aus dem Westen, Wiglaf Droste, Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky live im Theater am Rand, Zollbrücke” beim Label Buschfunk erschienen.

Von der ungeheuren Freude, mit Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky auftreten zu dürfen...
Die frühe Verehrung für Uschi Brüning verdanke ich meiner Deutschlehrerin, die uns Ulrich Plenzdorf lesen ließ, »Die neuen Leiden des jungen W.«. Plenzdorfs Held Edgar Wibeau schwärmt für Jazz, für richtige Musik: »Wenn meine Kassetten nicht gereicht hätten, wären wir in den ›Eisenbahner‹ gegangen oder noch besser in die ›Große Melodie‹, wo die Modern Soul-Jungs spielten oder SOK oder Petrowsky, Old Lenz, je nachdem wer dran war. Montag war immer fester Tag. Oder denkt vielleicht einer, ich wußte nicht, wo man in Berlin hingehen mußte wegen echter Musik? Nach einer Woche wußte ich das. Ich glaube nicht, daß es viele Sachen in Berlin gegeben hat, die ich versäumt habe. Ich war wie in einem Strom von Musik. Vielleicht versteht mich einer. Ich war doch wie ausgehungert, Leute! Schätzungsweise zweihundert Kilometer um Mittenberg rum gab es doch keine anständige Truppe, die Ahnung hatte von Musik.«

Mir ging es mit 16, 17 Jahren in Bielefeld im Westen nicht anders, als es Wibeau im fiktiven Ort Mittenberg im Osten ergangen war. Aber Wibeau war nach Berlin abgehauen, blühte dort auf und sog mit Musik das Leben ein: »Old Lenz und Uschi Brüning! Wenn die Frau anfing, ging ich immer kaputt. Ich glaube, sie ist nicht schlechter als Ella Fitzgerald oder eine. Sie hätte alles von mir haben können, wenn sie da vorn stand mit ihrer großen Brille und sich langsam in die Truppe einsang.« Man merkte gleich, worum es wirklich ging bei Musik: um das große Lebenselixier, die Liebe – also nicht um den schäbigen Ersatz, von dem die Religionslehrer schluchzen und der bis heute von allerlei Lourdes-Latschern empfohlen wird. Schönen Dank auch.

Persönlich kennengelernt habe ich Uschi Brüning viel später, am 19. Mai 1999, im Berliner Tränenpalast. Im Rahmen von »Jazz, Lyrik, Prosa« trat sie mit ihrer Band Enfant auf. Der Ganzkörperschlagzeuger Wolfgang »Zicke« Schneider begeisterte mich sofort, der Saxophonist Ernst-Ludwig »Luten« Petrowsky war mit seinem trockenen Humor und seinem exzessiven Spiel nicht minder eindrücklich.

Er gehört zu den Musikern, die wissen, daß man Musik zuerst spielen können muß, um erst dann auch ihre Grenzen auszuloten. Mit experimental-simulatorischem Getute und Gemache hat er die Welt also rücksichtsvoll verschont; die amusikalischen Bedürfnisse der Free-Jazz-Polizei bedient er nicht. Aber wenn Ernst-Ludwig Petrowsky mit dem »Zentralquartett« deutsche Volkslieder spielt, dann wird den kontaminierten Melodien jede als verlogen empfundene Harmonie ausgetrieben. Dann wird mit Volldampf und Furor zerlegt, zertrümmert und zerhackt. Wohlgefühle erzeugt das nicht. Barjazz ist anders.

An diesem Abend im Tränenpalast kam dann Uschi Brüning dazu und sang »Compare to what«. Die Wirkung war physisch. Ich dachte, ich müsse zerspringen. Das Blut kochte und schoß unter die Schädeldecke, die Gefäße schienen zu klein, um die Energie und Intensität dieser Stimme aufnehmen zu können.

Ich war 37 Jahre alt, als ich sie erstmals live singen hörte, etwa so alt wie Plenzdorf, als er seine Eloge schrieb, und ich wusste genau, was der Mann gemeint hatte.

Peter Hacks schrieb in seinem Gedicht »Die Welt, schon recht«: »Wenn deine Schönheit sich ins Engelhafte / Verklärt und dann in einem Aufschrei birst, / Und alles Fühlbare in diesem Schrei ist, / Mit dem du aller Wirrsal dich entwirrst«. So klingt das, wenn Uschi Brüning »Compare to what« singt. Und sie macht kein bißchen Aufhebens davon.

Der künstlerische Adel der DDR hat sie verehrt und verehrt sie noch, und das einfache ostdeutsche Volk ist nicht minder hingerissen. Ich habe das seit 1999 oft erlebt, auf einer großen Bühne in Berlin, auf einem Freilichtpodium in Zollbrücke in Brandenburg oder in einem Kulturhaus in Marienberg im Erzgebirge: Ob begleitet von einem Pianisten, einem Duo oder einer Band: Uschi Brüning, der Star, bis in die Haarspitzen voll Lampenfieber, singt, egal vor welchem Publikum, völlig unprätentiös wie um ihr Leben. In jedem Ton geht es um alles, und das Publikum kann sein Glück nicht fassen – und auch das seltsame Gefühl nicht, daß diese Stimme eine Stimme aus der DDR war und ist, wenn auch niemals die Stimme der DDR.
(Wiglaf Droste)


Tickets: AK: 24 € // VVK: 18 €
Einlass ab 19:00 Uhr

www.facebook.com/scheunedresden

Beginn: 20:00 Uhr
Location: Scheune www.scheune.org
Adresse: Alaunstraße 36-40, 01099 Dresden