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Vollständige Version anzeigen: Willkommen im Tollhouse
abadd0n
Eine Spätsommernacht in Dresden. Es ist Vollmond. In der Rettungleitstelle geht ein Notruf ein: Vom Dach des Trefftz-Bau steigen Rauchwolken auf! Die Feuerwehr rückt mit einem Löschzug aus - schon mit der Vorahnung, dass da gar nichts brennt. Die Dampfwolken der Kühltürme des neuen Hochleistungsrechenzentrums haben einen Passanten in Aufregung versetzt.

<table cellpadding="8"><tr valign="top"><td align="left"><p align="justify">Was macht die heiße Luft über dem Physikgebäude?

<p align="justify">Vier Kühltürme mit der 10.000fachen Leistung eines Haushaltskühlschrankes sorgen dafür, dass die neue Großrechenanlage der TU Dresden nicht überhitzt. Es ist aber mehr als heiße Luft, die seit November dieses Jahres dort produziert wird: 2000 CPU-Kerne von Intel und 2500 CPU-Kerne von AMD bilden das Herzstück zwei neuer PC-Farmen für datenintensive Computeranwendungen.</p></td><td align="right">[attachmentid=10950]</td>
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<table cellpadding="8"><tr valign="top"><td>[attachmentid=10951]</td>
<td align="left"><p align="justify">Bevor wir uns darauf genauer einlassen, stellt sich zunächst die Frage, wie Dresden zu dieser "Mega-Maschine" gekommen ist. In den achtziger Jahren wurde hier eine БЭСМ-6* betrieben. Nach der Wiedervereinigung wurde ein VP-2000* und ein IBM 3090* installiert. Mitte der Neunziger taten bis vor Kurzem Rapunzel & Co* ihren Dienst.<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>&nbsp;<br>Bild links:<br>Peter Fischer vom ZIH arbeitet mit dem Supercomputer an einem Hack für eXmatrikulationsamt.de und Nutzer Hagen77 ,-)</td>
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<td align="left">[attachmentid=10952]<br>Das wassergekühlte System: Die Schränke zu öffnen ist keine ungefährliche Sache: Der Luftstrom darf nicht abreißen.</td>
<td align="right">[attachmentid=10954]<br>Der "Festplatten-Roboter": In der Bildmitte schlecht zu erkennen ist der Roboter-Arm, der Festplatten (je links & rechts) nach Bedarf aus dem "Regal" holt.</td>
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Das Projekt

So wie auch euer privater Rechner entweder euren Studienbeginn oder das -ende erlebt, so ist die Lebenserwartung eines Großrechnersystemes,für deren Erwerb nicht mal ein Sechser mit Zusatzzahl ausreichen dürfte, nicht länger als die normale Regelstudienzeit. So begannen 2004 die Überlegungen seitens des Verwaltungsrates des Deutschen Forschungsnetzes (DFN) zur Neuansiedlung eines wissenschaftlichen Zentrums der Datenverarbeitung in den neuen Bundesländern unterstützt durch den Direktor des ZIH, Prof. Dr. Wolfgang E. Nagel*.

Aufgrund der Tradition Dresdens als bekannter Standort in diesem Bereich fiel die Wahl auf Dresden. Ein halbes Jahr lang lief die europaweite Ausschreibung. Nachdem das Team des URZ die Anforderungen spezifiziert hatte, beteiligten sich von den 10 Interessenten noch 3 in Form eines konkreten Angebotes. Das zeigt die bisher noch nicht umgesetzte Architektur und den hohen Anspruch des Projektes. Die Wahl als ausführende Firma fiel auf SGI* für den Aufbau einer PC-Farm bestehend aus Intels Itanium2 Prozessoren und Linux Networks aus Salt Lake City für die Montage AMD Opteron Farm. Insgesamt wurden 15 Millionen Euro investiert, je zur Hälfte vom Bund und vom Land.
<table cellpadding="8"><tr valign="top"><td>[attachmentid=10953]</td>
<td><p align="justify">Leider gibt es bei Baumaßnahmen auch immer wieder einmal auch unliebsame Überraschungen. Im September kam es nach einer Havarie an der unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) zum Ausfall der ZIH-Dienste, des Datennetzes sowie der Internetanbindung. Oder man streitet sich auch schonmal darum, wer denn putzen muß. Im Ernst: Dazu kommt es, wenn der Bauherr (letztlich das Finanzministerium) sich nicht verantwortlich fühlt und der Betreiber (die TU Dresden) das Gebäude noch nicht übergeben bekommen hat.<br>&nbsp;<br>Das Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH) stellt alle für uns mittlerweile selbstverständlich gewordenen Dienste der Informationstechnik zur Verfügung. So müssen zum Beispiel für die insgesamt 48.000 Nutzer jährlich 35 Mio E-Mails verarbeitet werden und die Nutzung von PC-Programmen, Diensten wie Drucken, Scannen oder Webspace und natürlich der Zugang ins World Wide Web ermöglicht werden.</p></td>
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<table cellpadding="8"><tr valign="top"><td><p align="justify">Das neue Hochleistungsrechenzentrum gliedert sich in dieses Leistungsspektrum als Plattform für die Ausführung spezieller daten- und rechenintensiver Anwendungen ein. Jeweils eine Etage nehmen die Reihen vollbesetzter Serverschränke der Itanium- und der Opteron-Rechner in Anspruch und nutzen dabei 6 bzw. 4 TeraByte Hauptspeicher. Das Hauptsystem, das auf den Namen "Tollhouse" getauft wurde setzt sich aus 2048 Itanium2-Kernen die jeweils mit 1,6 GHz getaktet sind. Allein dieses SGI-Tollhouse-System in der zweiten Etage wiegt 18 Tonnen und wird mit Luft gekühlt, die mit 8 m/s durch die Rechner bläst. [Anm. marv: Das heißt pusten!] Die Klimananlage wird interessanterweise mit Heißwassser betrieben: Sie arbeitet mit der Absorbtionskälte. Der Stromverbrauch des ZIH ist gigantisch: Der 1,2 Megawatt-Anschluß kostet eine Million Euro im Jahr und läßt sich mit 600 Haushalten vergleichen.
Damit zählt Dresden zu einem der schnellsten Hochleistungsrechenzentren Deutschlands. Dabei ist der schnelle Zugriff mit max. 8 GB/s auf das insgesamt 118 TeraByte fassende Storage Area Network (SAN) das Besondere an diesem Super-Computer. Stellt Euch vor, jede Sekunde werden hier 2 DVDs transferiert. Das System ist also eher für daten- als für rechenintensive Aufgaben, konzipiert und erreicht eine Rechengeschwindigkeit von max. 11,9 Teraflops. Unterstützt wird das System von einer PC-Farm bestehend aus 2584 2,6 GHz Opteron-Kernen, die mit 4 GB/s an ein weiteres Storage-System mit 50 Terabyte angebunden sind. Beide Farms werden mit einem vom Hersteller angepassten Linux (Suse Enterprise Server 10) betrieben. Für Backups steht ein sog. "Tape-Silo" mit insgesamt 1 PetaByte (http://de.wikipedia.org/wiki/Byte) Speicherkapazität zur Verfügung. Das entspricht weit mehr als 100.000 Kinofilmen.

Professor Wolfgang E. Nagel, Direktor des ZIH, erläutert den Ansatz so: "Wir wollten nicht ein weiteres Rechenzentrum einrichten, das im Wesentlichen nur Numbercrunching unterstützt. Unser Fokus ist, der wissenschaftlichen Computing-Gemeinde ein neuartiges Instrument, einen neuen Typ von HPC-Tool* zur Verfügung zu stellen. Nicht die üblichen Simulationsprobleme stehen hier im Vordergrund, es geht uns mehr darum, den Anwendern eine Plattform zu liefern, mit der sie aus Unmengen von strukturierten oder unstrukturierten Daten, welche viel verstecktes Wissen in sich tragen, neues Wissen, mehr Wissen, dichteres Wissen extrahieren und herausarbeiten können." [Quelle]

Trotz alledem ist das Tollhouse-System allein schon das drittschnellste in Deutschland. Weltweit liegt die TU Dresden derzeit auf Platz 49 der Top-500 der Super-Computer. Die zweite Farm liegt weltweit auf Platz 106. [siehe Top500]
</p></td>
<td>[attachmentid=10955]</td></tr></table>
Wozu das alles?

Man wird beispielsweise Simulationsanalysen zum Einfluss von Metabolismus und externen Wachstumsfaktoren auf die räumliche Strukturbildung von Hefen untersuchen. Man analysiert kollektive Musterbildung von Mikroorganismen und simuliert Signalwege im Bereich der Zell- und Mikrobiologie. Sonst müssten sich viele studentische Hilfskräfte mit der Auswertung tausender Bilder aus Mikroskopen befassen, was natürlich mehr Zeit & Geld kosten würde. Oder man optimiert bauphysikalische Simulationssoftware für Statik-Berechnungen. Der eine oder andere wird sich sicherlich noch gern an die "Finite-Elemente-Methode" erinnern.
<table cellpadding="8"><tr valign="top"><td><p align="top">Das heißt also, das System wird für Grundlagenforschung auf verschiedensten Gebieten verwendet. Egal ob Maschinenbauer oder Biologe, jeder kann die Kapazitäten des Systems nutzen. Je nach Anforderung werden entsprechend viele Rechnerknoten bereit gestellt. Bezahlt wird übrigens nicht nach Zeit, sondern nach Stromverbrauch.

Nebenbei...

... erinnert ihr euch an die Uhr am Giebel des Trefftz-Baus? Die Astronomische Uhr, gebaut von Professor Willers wurde demontiert und auf der Ost-Seite des Willers-Baus wieder angebracht. Sie steht unter Denkmalschutz. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt für das ZIH - für die Unterbringung des Uhrwerkes geht den Mitarbeitern einiger Platz verloren.
</p></td>
<td>[attachmentid=10956]</td>
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Mehr Bilder von unserem Besuch im ZIH für eXma findet ihr ebenda.

presented by marvinTheRobot & abd
tjay
... toll, wollte immer schon sehen wie es da drinne aussieht smile.gif
Pommeraner
sehr interessant - danke für den bericht und die fotos!
valex
wie von dir gewohnt, abadd0n... marvin ist jetzt eher die ueberraschung fuer mich, aber respekt... schoen und informativ... hut ab
Binhpac
Richtig guter Artikel! Respekt! Informativer als jede Uni-Zeitung.
1tein
Schicker Artikel! smile.gif

Nebenfrage: Schaut der Mitarbeiter des ZIH wirklich da auf eXma?
mArVinTheRobot
Zitat(1tein @ 23 Dec 2006, 17:31)
Schicker Artikel!  smile.gif

Nebenfrage: Schaut der Mitarbeiter des ZIH wirklich da auf eXma?
*


Auch wenn ich jetzt einen Mythos zerstöre: Nein.

Der Arbeitsplatz ist dort wo die SAN und das Tape-Silo stehen (Untergeschoß) und bietet nur den Zugriff auf diese, da alle Systeme (inkl. Farmen) keinen direkten Zugriff vom oder in das Internet ermöglichen.
Julschn
Zitat(1tein @ 23 Dec 2006, 17:31)
Schicker Artikel!  smile.gif

Nebenfrage: Schaut der Mitarbeiter des ZIH wirklich da auf eXma?
*


Was sollte er denn auf der Startseite ohne benutzung der maus machen??? cool.gif
Stormi
Hat dich der Nagel bestochen für den schönen Text? Naja haste wirklich gut gemacht, die Hochleistungsrechnerprofs schwärmen auch immer in den höchsten Tönen davon, vom Nagel mal ganz zu schweigen. Is ne tolle Sache smile.gif
mArVinTheRobot
Zitat(Julschn @ 30 Dec 2006, 02:13)
Was sollte er denn auf der Startseite ohne benutzung der maus machen???  cool.gif
*


Das ist ein richtiger Hacker! biggrin.gif Maus is was für Emo's. Und obwohl eXma wahrscheinlich nicht gänzlich barrierefrei ist, so scheinen sich doch die GoogleBots & Co. erfolgreich ohne Maus durch die 215.680 Beträge hangeln zu können. q.e.d.



Ich wollt ja erst nen Screenshot von lynx-screen da reinsetzen - aber ... (siehe Signatur) huh.gif

Julschn
Zitat(mArVinTheRobot @ 04 Jan 2007, 10:16)
Maus is was für Emo's.


Ach deshalb hast du sooooo viele!!!!1
Chris
http://www.heise.de/newsticker/meldung/85890

HA HA tongue3.gif

Die Elite Uni Karlsruhe weiht einen Eliterechner ein. 3000 Opteron Kerne und 11,8 Terraflops ... Dummerweise etwas langsamer als unser geiles Geschoss, dass sich hier am Trefftzbau räckelt.

Also wer ist hier Elite? wink.gif
abadd0n
Festliches Kolloquium zur Einweihung

(eXma) Am Montag Nachmittag fand die feierliche Übergabe des Hochleistungsrechners und Speicherkomplexes statt. Der Einladung von Uni-Rektor Kokenge und ZIH-Direktor Nagel waren gut 80 Gäste gefolgt.

<div style="float:left;margin:0px 10px 10px 0px;padding:10px;border:4px solid #F2F2F2;background:white;">[attachmentid=12497]</div>Geladen waren nicht nur hochrangige Vertreter der TU Dresden, sondern auch Gäste, die von weit her gekommen waren. So hielt beispielsweise Hans-Joachim Bungartz von der TU München einen Vortrag, der viele Anregungen zur künftigen Entwicklung in "Advanced Computing" geben konnte.

Er stellte die Bedeutung von Hochleistungsrechnen für die Wissenschaft heraus: Der Sprung von selbstrefernzieller Grundlagenforschung hin zur anwendungsbezogenen "Computional Science" ist geschafft. "It is still mathematics but more informatics", zitiert Bungartz. Besonders betont er die Notwendigkeit, tatsächlich interdisziplinäre Ansätze zu fördern, denn häufig sei es so, dass die verschiedenen Forschungsbereiche zu wenig miteinander kommunizieren. "Ein Lehrstuhl allein kann nun mal nicht alle Probleme lösen", so Bungartz.

Zuvor hatte SGI-Vertreter Tim Butchert die Struktur des neuen Hochleistungsrechners vor und erklärte die Vorteile der neuen Technologie. Die Zukunft liegt in genau angepassten Architekturen für jeweils verschieden skalierte Applikationen. Bisher sollte ein Hochleistungsrechner ein Maximum an CPU-, I/O- und Starge-Leistungsmerkmalen aufweisen, doch heute braucht man besser angepasste Systeme.<br><br><br>

<div style="float:right;margin:0px 10px 10px 0px;padding:10px;border:4px solid #F2F2F2;background:white;">[attachmentid=12498]</div>Hier bei eXma können wir später noch die Entwicklungen im Grid-Computing erörtern und die Vorteile kartesischer Gitter beleuchten.

Das Festkolloquium wurde von einigen Fachvorträgen abgerundet, die bspw. die Anwendung in Nanofluidik, Numerischen Simulationen oder der Metallurige erläuterten.

Es wurde viel investiert in das neue ZIH, nun wird sich zeigen, ob sich der Einsatz dieser großen Geldmenge gelohnt hat.