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>Der Dresdner und sein Auto … aus der subjektiven Sicht eines Wahl-Dresdners

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post 08 Dec 2008, 01:03
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Der Dresdner und sein Auto

… aus der subjektiven Sicht eines Wahl-Dresdners

Michael Winkler, Herbst 2008



Es fällt manchmal nicht schwer, in Dresden mit dem Auto zu fahren. Einige (nicht alle) Straßenbahnfahrer machen auch nach mehrmaligem Knopfdrücken und Winken definitiv nicht die Türe auf und manchmal hilft es wirklich nur, sich auf die Schiene zu stellen und zu winken, damit der Mann (meist sind es die männlichen Mitglieder des Spezies homo straßenfahrensis) hinter dem Steuer merkt ‚Hey, da will noch einer mit und dessen Zufriedenheit sichert letztlich meinen Arbeitsplatz.’ Zweifelsohne gibt es Situationen, in denen man Fahrgäste mal übersieht, kann in den besten Straßenbahnfahrerfamilien vorkommen. Doch so oft wie ich das in Dresden bereits erlebt habe und es mir von anderen Einheimischen und Touristen bestätigt worden ist, kann es kein Zufall sein. Eine Freundin aus Spanien meinte mal scheinbar etwas entsetzt, dass die Straßenbahnfahrer fast schon unmenschlich (sinngemäß) handeln würden. Sie sagte dies als der Bus, in dem wir saßen, den Postplatz verließ und eine nach dem Bus rennende Person dann wohl auf den nächsten Anschluss warten durfte. Im Grunde kein Beinbruch, doch es war nachts gegen 23 Uhr … und ca. 10 Grad minus. ‚Tja, c’est la vie.’, wird sich der Fahrer mit der Lizenz zum „Entscheiden-wer-mit-darf-und-wer-nicht“ vielleicht gedacht haben. Gelegentliches Daraufhinweisen mündet mitunter in einem „Ich habe mich ordnungsgemäß verhalten.“ (selbst schon erlebt). Ja, ordnungsgemäß verhalten sich die meisten, denn die gute deutsche Pünktlichkeit hat Vorfahrt vor Kundenservice*. Und somit dürften einige Straßenbahnfahrer auch pünktlich irgendwann ihre Kündigung erhalten, wenn es technisch mal soweit sein wird, dass die Bahnen quasi führerlos durch Dresden fahren können.

Doch was schreibe ich über Straßenbahnen, es sollte doch ein Artikel über Autos werden. Ich bin wohl etwas abgeschweift. Das kann schnell passieren, wenn man über Dresden und einige seiner Bürger spricht. Nicht alles verläuft so geradlinig wie eine Durchfahrt von Dresdens Norden bis in den Süden; innerhalb der letzten 15 Jahre ja auch fast nahezu unbemerkt vierspurig ausgebaut. Nur die Königsbrücker Straße sträubt sich noch trotz jahrelanger K®ämpfe** gegen die Vierspurigkeit, vielleicht ist es der Spirit Erich Kästners, dessen Geburtshaus auf der Königsbrücker Straße 66 (schräg gegenüber vom Kino „Schauburg“) steht, der da ein bisschen Ruhe sorgt.

Erich Kästner war wahrscheinlich in dem Alter, in dem die meisten von uns ihren Führerschein machen, als das Automobil sich langsam seinen Weg durch die Landschaft bahnte. Zwei Weltkriege ließen einige Nationen die weltweiten Erdölvorkommen unter sich aufteilen. Hitler baute – zur Freude der Massen, auch der Dresdner – die „gute deutsche Autobahn“. Die wenigstens hinterfragen wohl heute die Rolle der Bau- und Automobilindustrie zu dieser Zeit. Wie auch, da würde man ja glatt auf die Namen stoßen, die heute immer noch und mittlerweile weltweit Profit machen.

Autos und Hitler … da sind wir recht schnell bei Begriffen wie Werbung und Propaganda; beide gehen Hand in Hand. Wie und warum bleibt dem Bürger meist so weit undurchsichtig, bis das Ding durchgezogen ist. Menschen vor vollendeten Tatsachen zu stellen, ist einfacher als das ewige Hin- und Her von Workshops und Bürgerwerkstätten. Wer Profit machen will, kann sich nicht lange beim demokratischen Blabla aufhalten. Nicht umsonst beginnt das 1928 erschienene Buch „Propaganda“ des PR-Pioniers und Sigmund-Freud***-Neffen Edward Bernays (1891-1995) mit den viel sagenden Worten: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft.“ [1]
Bernays war es auch, der Anfang der 1950er Jahre half, das "National System of Interstate Highways" der USA zu propagieren. Er tat dies im Auftrag der Mack Truck Company, die mit der Eisenbahn konkurrieren wollte bzw. vielmehr eben keine Konkurrenz mehr haben wollte. Bernays überzeugte letztlich auch den amerikanischen Congress und dabei war seine einfache Idee jene, dass da wo erst einmal große Straßen sind, auch (große) Autos fahren würden. Diese Strategie funktioniert in Deutschland auch 50 Jahre später noch, insbesondere in Dresden. In Dresden reichen Slogans wie „Wachstum braucht Mobilität“ oder „Wachstum schafft Arbeit“, zusammengefasst „Arbeit braucht Mobilität“, und der Durchschnittsbürger, welcher sein Leben über seinen Arbeitsplatz definiert (und nicht umgekehrt) nickt eifrig mit dem Kopf und macht sein Kreuzchen bei den ab und zu stattfindenden Wahlen „an der richtigen Stelle“.


bild kann nicht angezeigt werden

Spaghetti Junction in der Nähe von Birmingham [5]

Was US-Amerikaner können, können übrigens auch Briten - wenn auch ein paar Jahre später


In den USA musste man sich da noch ganz andere Gründe einfallen lassen, um den Highwaybau, mit rund 75.000 km mittlerweile angeblich das größte Straßennetz der Welt (Stand: 2004), zu rechtfertigen. Robert Fishman schreibt im Tagungsband zur vor einigen Jahren initiierten Ausstellung „Shrinking Cities – schrumpfende Städte“ (Link), dass das „größte öffentliche Arbeitsprogramm seit den [ägyptischen, M.W.] Pyramiden“, auch zum Teil damit gerechtfertigt wurde, dass im Falle eines Atomangriffes die Städte evakuiert werden könnten.[2] Tja, vielleicht könnte man dieses Argument aus der noch von der Kommunisten-Atomkrieg-Phobie der McCarthy-Ära (Link) genährten Zeit Mitte der 1950er Jahre auch für Dresden reaktivieren. Jetzt gilt es eben schnelle Straßen für eine mögliche Evakuierung im Falle eines Angriffs der Russen auf die US-amerikanischen Raketenstationen in Polen und Tschechien, falls die Raketen mal weiterfliegen sollten, zu bauen. Was der US Air Force passiert, kann schließlich auch mal bei der Wojenno-Wosduschnye Sily vorkommen, oder? Ich bin mir momentan nicht so sicher, ob der Dresdner das nicht auch glauben würde.

Dass die Interessen von Baubranche und Militär nicht weit auseinander liegen, wussten einige US-Amerikaner sicher nicht erst seit Hitlers Deutschland. Zudem hatten sie durch jahrelange Geschäftsbeziehungen zu Deutschland einiges lernen können. Ach übrigens, hat jemand eine Ahnung, wen das renommierte Time-Magazin im Jahre 1938 zur „Person of the Year“ wählte? Wenn nicht, dann einfach mal googeln.

Doch zurück nach Dresden und ins Jahr 2008. Nicht ganz eine Viertelmillion Kraftfahrzeuge nennen die Dresdner Bürger ihr Eigen, wobei die Anzahl der PKWs sich wohl um ein paar Tausend darunter befinden dürfte (2001: 238 451 registrierte Kraftfahrzeuge in Dresden, darunter 211 079 Pkw [3]). Wobei die Stadt Dresden noch kräftig aufholen könnte. Denn im Jahr 2008 liest sich die Kernraum-Umland-Statistik in einem Nebensatz einer Pressemitteilung der Dresdner Stadtverwaltung dann ungefähr so: „So standen den 439 Pkw je 1000 Einwohner in Dresden weit über 550 in allen Gebieten des Umlands gegenüber.“ [4] Der Dresdner fährt und fährt, offenbar ... und will dabei auch Spaß haben (auch auf dem Arbeitsweg), selbst wenn der Sprit 1,55 Euro kostet. Da sind wir so Pi mal Daumen umgerechnet bei den „drei Mark zehn“ aus NDW-Markus’ Spaß-Hit aus dem Jahre 1982.

Der Spaß scheint einigen jedoch in Dresden immer mehr zu vergehen, spätestens seit dem ewigen Nr.-1-Thema Dresdens … ihr wisst ja sicher, worum es geht. Und dabei wird es vielleicht erst so richtig spaßig in den nächsten Monaten. Dresden baut sich Tag für Tag den Welterbetitel selbst ab und wenn die Preisgleitklauseln (heißt wirklich so) für Beton und Stahl nicht mehr halten, dann kostet die Brücke Dresden eben einige Millionen Euro mehr als noch vor Jahren berechnet. Tja, woher das Geld dann nehmen? Von der Sachsen-LB? Wird kaum gehen, die ist mittlerweile in Baden-Württemberg. Ja, dann wird’s wohl wieder eine Frauenkirchen-ähnliche Spendenaktion geben, oder? Das wäre doch wirklich ein friedensstiftendes Zeichen der Dresdner Autofahrer und der neuen Oberbürgermeisterin Helma Orosz. Alle wären happy und würden sich in den Armen liegen oder im großen Hupkonzert durch die Stadt düsen … während am anderen Ende der Welt der letzte Tropfen Erdöl aus der Erde gefördert würde. Ende gut, alles gut.



Quellen:

[1]: Edward Bernays: “Propaganda”, Horace Liveright, New York 1928. Neuauflage: Ig Publishing, Brooklyn N.Y. 2005. (Deutsch von Patrick Schnur, orange-press, Freiburg i. Br. 2007, deutsche Erstausgabe)
[2] Robert Fishman: Suburbanisierung: USA. In: Schrumpfende Städte - Band 1: Internationale Untersuchung (Philipp Oswalt, Hsgb.), S. 64–73, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit, 2004.
Projekt-Homepage: http://www.shrinkingcities.com/
[3]: Link: http://www.dresden.de/de/02/035/01/2001/07/c_2437.php
[4]: Link: http://www.dresden.de/de/02/035/01/2008/04/pm_077.php
[5]: Link: http://www.dailymail.co.uk/news/article-50...d-junction.html



Weitere Links:

- Geschichte des US-Straßensystems: http://members.a1.net/wabweb/frames/abhistUSAf.htm
- Edward Bernays: http://de.wikipedia.org/wiki/Edward_Bernays
- TIME Magazin - Person of the Year: http://de.wikipedia.org/wiki/Person_of_the_Year
- United States Air Force (US-Amerikanische Luftstreitkräfte): http://de.wikipedia.org/wiki/US_Air_Force
- Wojenno-Wosduschnye Sily (Russische Luftstreitkräfte): http://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Luftstreitkr%C3%A4fte
- „Teurer Stahl bringt Zulieferer in Not“, Handelsblatt-Online, 30.06.2008,
Link: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/mi...n-not;2005576;2
- Link zum Thema "Pi mal Daumen": http://cweiske.de/tagebuch/Pi%20mal%20Daumen.htm (selbst noch nicht verifiziert smile.gif)
- YouTube-Video Markus "Ich will Spaß": http://www.youtube.com/watch?v=EqJCRs23TJ8



Ergänzungen, Änderungen etc. nach "Leser-Hinweisen" sozusagen:

* Das Wort Kundenservice ist günstigerweise durch "Freundlichkeit" oder "Rücksichtnahme" zu ersetzen. Prinzipiell ging es um die Wichtung einzelner Kundenservice-Faktoren wie Pünktlichkeit, Rücksichtnahme, Freundlichkeit. Die geschilderte Situation entstand im Grunde aus einer unterschiedlichen Wichtung der Faktoren seitens der Straßenbahnfahrer(in) bzw. des Autors. Während DVB-Angestellte im Zwiespalt zwischen (Zeit)Planerfüllung und Arbeitsverhältnis stehen, interessiert den Kunden hauptsächlich, ob er oder sie (noch) mitfahren kann oder nicht.
** Das Wort "K( r )ämpfe" wird ohne Leerzeichen vor und nach dem "r" offenbar bei der Textformatierung in "K®ämpfe" geändert
*** Sigmund hieß natürlich "Freud", nicht "Freund" - Danke für den Hinweis ... offenbar ein "Freud'scher Verschreiber" smile.gif


Dieser Beitrag wurde von Michael13: 11 Dec 2008, 17:10 bearbeitet


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