Wenn ich aus meinem Fenster auf das gegenüberliegende Haus schaue, bekomm ich kurzerhand einen kleinen Ausraster. Meine müden Augen erspähen da schon wieder mehr als ne Handvoll Fenster, wo diverse Leute liebevoll ihre achtzig Sternleins und 43 Nussknacker aufgestellt haben, die wie in den farben eines extrovertierten Geckos von bunt nach gestreift wechseln... Vor ner Woche dacht ich noch, ich spinne, aber so langsam glaube ich, dass nicht ich es bin, der hier spinnt...
Wieso können Manche nicht bis zum 1. Advent damit warten? Ich meine es reicht ja schon zu, dass es seit Sommer Weihnachtsmänner zu kaufen gibt. Das kann ich ja noch verstehen, weil es ja wie zu DDR-Zeiten, im Dezember keine mehr gibt. Und wieso muss alles so bunt sein, als wäre das Christkind in ner Disko geboren?
Mann, das nervt!
Ich mag Weihnachten, aber Weihnachten kommt von innen, vom Herzen quasi. Weihnachten lebt von offenen Türen doch nicht aber von solchen Fenstern
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"Tätigkeit ist der letzte Ausweg jener, die nicht verstehen zu träumen."Oscar Wilde
meine reise in die vergangenheit begann vor wenigen tagen mit einem zug. erst war es der hastige, gierige zug an einem stummel auf dem bahnsteig unter den ärgerlichen blicken von dem mann, der dort den müll weggeräumt hat. es war ein wenig feuer in seinen leuchtend grünen augen. ich schaue ihn lange an. das feuer erlischt in dem moment, als ich ihn anlächele. ich weiß nicht, was er von mir gedacht hat aber ich mochte seine augen. ich dachte gar nicht daran, dass er einen grund haben könnte, ärgerlich zu sein.
[reise]
die reise ging dann weiter mit einem zug voller menschen. zusammengepfercht auf fünf abteile. und ein abteil für bessere menschen. aber in dem abteil saßen nur drei. ich war also mit vielen schlechten menschen und drei besseren unterwegs in die vergangenheit. neben mir saß eine gruppe von seltsam schwarz gekleideten menschen. ich glaube, sie wollten auf ein konzert irgendeiner gothic-band. darunter war ein mädchen, das mich besonders beeindruckt hat, denn sie war sehr schön aber auch sehr einsam. sie trug schuhe mit so einer hohen sohle, bestimmt 20cm. erst dachte ich, sie fühlt sich zu klein und muss sich deswegen größer machen. aber das konnte nicht sein, denn ihr röckchen war mindestens 20cm zu kurz. als sie sich nach ihrer tasche bückte konnte ich ihren schlüpfer sehen und das fand ich abstoßend. warum stelzt sie durch die welt und zieht sich dabei zu kurz an?
ich mochte sie nicht mehr sehen und bin am nächsten bahnhof in den nächsten wagon umgestiegen. eigentlich hätte ich das auch früher tun können. ich mag aber die übergänge zwischen den wagons nicht, bei denen man die gleise unter sich rattern sieht. deshalb habe ich gewartet. ich saß also im zug, auf einer reise in die vergangenheit. ich wusste nicht so genau, wo ich ankommen würde.
[telefonat]
neben mir ein junge, der mit seiner freundin telefoniert. vielleicht war es auch seine verlobte. "ach mausi", sagte er dauernd. "ach mausi, ich will doch nur dich sehen, es ist doch weihnachten! es ist mir doch egal was meine eltern denken, ach mausi!" ich überlegte, wie sie ihn wohl in die mausefalle hatte locken können. das telefonat dauerte eine halbe stunde und ich wusste nicht ein, noch aus. immer wieder die gleichen sätze, "ach mausi!" schließlich bekam ich einen hysterischen lachkrampf. ich musste weinen beim lachen. auch die anderen passagiere im zug nach nirgendwo begannen zu lachen. die vielen mausis, die der junge ungeniert in das ganze abteil rief, waren irgendwie lächerlich. eigentlich war es sogar traurig. ach mausi. ich hätte ihm gern geholfen, seine freundin loszuwerden.
als ich wieder zu mir kam, war ich allein im abteil. ich zog die vorhänge zu und dachte nach. ach mausi. wärest du nur allein geblieben. so wie der mann auf dem bahnsteig, der den müll wegräumt. er sieht nie die gleichen menschen bei seiner arbeit. er ist immer allein unter all den feuerverzinkten bahnhofspfeilern. er und sein müllsack, in den er die reste der menschen kehrt. menschen, die nach nirgendwo fahren. reste aus der vergangenheit. manche menschen flüchten, andere verfolgen. er kehrt. ach mausi. mit viel zu hohen schuhen und viel zu kurzem rock und viel zu vielen resten.
[allein]
stundenlang sitze ich allein im abteil, nein, nicht allein, sondern mit den gedanken an diese drei menschen. sie haben nichts gemein, sie werden niemals miteinander sprechen. ihre einzige begegnung fand in meinen augen statt. so kurz wie der rock, so abgehoben wie die schuhe, so dreckig wie der müll und so verloren wie das telefonat mit der einsamen freundin. dabei wollte ich doch nur bei ihnen sein, zu weihnachten. ach mausi.
die menschen haben verlernt mit den augen zu sprechen, denke ich. aber damit tue ich ihnen unrecht. ist nicht auch mein rock manchmal viel zu kurz, mein hochmut 20cm zu viel und mein müll es nicht wert, weggekehrt zu werden? ich hätte gern mit diesen drei menschen gesprochen, aber ich war zu schwach. ich wollte wissen, was sie bewegt, aber ich war erstarrt. blass und blau steige ich aus dem zug. wo bin ich? zurückgereist? oder nirgendwo? das weihnachten habe ich jedenfalls hinter mir gelassen.