Kein Herz für »Hartz-IV«-Opfer?
Wir nahmen Wirtschaftsminister Clement beim (Telefon-)Wort, doch der ließ sich verleugnen
* »Wer nicht zurechtkommt, soll mich anrufen«, hatte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) allen Hilfe versprochen, die Probleme beim Ausfüllen des Antrages auf Arbeitslosengeld II (ALG II) haben. junge Welt kam nicht zurecht und hat angerufen.
Guten Tag, Gudrun Schmidt*, Vorzimmer des Ministers ...
F: Tach, Schulze* hier. Den Minister bitte. Es geht um den Antrag für Langzeitarbeitslose.
Der Herr Minister ist nicht da. Kann ich Sie an einen Sachbearbeiter verweisen?
F: Ich will aber den Minister sprechen. Er hatte versprochen, daß man ihn anrufen kann.
Der Herr Minister hat viel zu tun, er kann nicht mit allen reden.
F: Er hat es aber öffentlich versprochen.
Sie müssen sich leider mit einem Sachbearbeiter zufriedengeben. Hier ist die Nummer: 01 80/1 01 20 12 ...
*
Guten Tag, Agentur für Arbeit, Angela Müller*. Was kann ich für Sie tun?
F: Moin, Schulze hier. Ich bin langzeitarbeitslos und kann mir seit der Gesundheitsreform keine neue Lesebrille leisten. Mit der alten erkenne ich kaum noch etwas – können Sie mir ein vergrößertes Formular des Antrages zuschicken?
Sie sind hier bei der Info-Hotline. Da muß ich Sie an Ihre örtliche Arbeitsagentur verweisen. Vielleicht haben die ein größeres Exemplar. Der Sachbearbeiter kann Ihnen auch beim Ausfüllen behilflich sein, er wird Ihnen den Antrag sicherlich vorlesen.
F: Ja, danke, guter Hinweis. Können Sie mir etwas zur Anrechnung von Nebenverdiensten sagen? Ich helfe hin und wieder einem Bekannten in der Werkstatt. Dafür lädt er mich zum Essen ein oder bezahlt einen Lebensmitteleinkauf. Er gibt mir auch schon mal 20 Euro auf die Hand, damit ich selbst einkaufen kann. Muß ich das als Nebenverdienst angeben?
Nebenverdienst ist doch etwas, wo man regelmäßig ein Gehalt bezieht ...
F: Das ist regelmäßig, jeden Dienstag. Und wenn er meine Einkäufe oder eine Portion Gyros mit Fritten bezahlt, dann ist das doch ein geldwerter Vorteil. Verstehen Sie mich recht, ich will nicht gesetzwidrig essen.
Dazu kann ich nichts sagen, das muß die örtliche Arbeitsagentur entscheiden. Wir können leider nur pauschal antworten.
F: Ich habe da noch eine Frage. Ich kann mit meiner Brille gerade die Überschrift entziffern: »Persönliche Verhältnisse der mit dem Antragsteller / der Antragstellerin in einem Haushalt lebenden Personen.« Mein Sohn ist 22, kriegt sein Studium von seiner Mutter finanziert und wohnt bei mir. Muß er jetzt sein Studium abbrechen und sich einen Job suchen, um mich zu finanzieren?
Er ist ja volljährig, fällt also nicht in diese Bedarfsgemeinschaft. Nach meinen Unterlagen kann er höchstens eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden.
F: Wie, er ist alleine eine Gemeinschaft? Noch mal: Muß er sein Studium abbrechen?
Nein, nein. Es wird geguckt, was er an Einkommen hat und was Sie haben. Wenn er tatsächlich alleine eine Bedarfsgemeinschaft ist, müßte er die anmelden.
F: Verstehe ich das richtig, daß mein Sohn auch diesen Antrag ausfüllen muß?
So, wie ich das verstehe, müßte er eine eigene ALG II beantragen ...
F: Aber er ist doch Student ... Trotzdem: vielen Dank. Sie sprachen übrigens mit der jungen Welt.
* Namen von der Redaktion geändert
http://www.jungewelt.de/2004/07-24/016.php