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post 25 Aug 2004, 20:58
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Straight Esh
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seit: 01.10.2003

QUOTE
Die Verzweiflung des Stralsunder Ingenieurs

Von Claus Christian Malzahn

Eier fliegen Richtung Kanzler, Arbeiterfäuste werden geballt: Im Osten herrscht explosive Stimmung. Die Verelendung des ostdeutschen Proletariats und der klassenbewussten Facharbeiterschaft schreitet in Riesenschritten voran - das zeigt auch eine Begegnung auf den Fluren der Arbeitsagentur in Stralsund.

Vor kurzem auf dem Flur der Arbeitsagentur in Stralsund, Vorpommern: Der Mann war Ingenieur, seit Jahren ist er ohne Job. Der 53-Jährige lebt in Stralsund mit seiner Frau in einem Plattenbau, auch sie hat seit Jahren keine Arbeit. "Ich kann mir nicht mal mehr den Eintritt ins Schwimmbad leisten", sagt er. Und: "Ich suche verzweifelt einen Job, finde aber nichts."

Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Ein weiteres Beispiel für die gnadenlose Härte, mit der Bundesbürger in Ostdeutschland an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Dabei hat man ihnen doch versprochen, dass es im neuen Deutschland niemandem schlechter gehen soll als in der DDR. Logisch, dass die PDS einen Höhenflug erlebt.

Der Mann war Ingenieur, seit Jahren ist er ohne Job. Er bekommt im Moment 1200 Euro Arbeitslosengeld. Er lebt in Stralsund mit seiner Frau in einer Plattenbau-Wohnung (Maximalmiete kaum über 300 Euro), auch sie hat seit Jahren keine Arbeit und wird mit 650 Euro monatlich vom Amt unterstützt.

Macht zusammen 1850 Euro Netto, ein Facharbeiterlohn. Abzüglich der Miete bleiben den Eheleuten etwa 1550 Euro zum Leben. "Ich kann mir nicht einmal mehr den Eintritt ins Schwimmbad leisten", sagt er. Das Ostseebad Binz der Ferieninsel Rügen liegt übrigens nur eine knappe Bahnstunde von Stralsund entfernt; die einfache Fahrt kostet acht Euro 40 Cent.

Und: "Ich suche verzweifelt einen Job, finde aber nichts." Wo sucht denn der arbeitslose Ingenieur einen Job? "In Stralsund." In Stralsund wird er aber kaum etwas finden, dort herrscht eine Arbeitslosigkeit von fast 25 Prozent. Würde er denn auch umziehen? Nach Bayern? Baden-Württemberg? Hessen?

"Nur wenn sich das rechnet", sagt er. "Also, wenn ich mir das Pendeln nach Stralsund und eine Zweitwohnung leisten kann!" Und weil es sich nach Ansicht des Ingenieurs nicht rechnet, bleibt er eben in Vorpommern und wartet auf Hartz IV. Dann leben er und seine Frau von 660 Euro plus Wohngeld. Logisch, dass die PDS in Ostdeutschland einen Höhenflug erlebt.

Eine Autostunde weiter südöstlich, in Polen, pendeln die Leute für solche Beträge nach Berlin, Brüssel oder London, um ihre Familien zu ernähren. Aber das ist natürlich was ganz anderes, denn das Leben in Stargard hat mit dem in Stralsund in tarifpolitischer Hinsicht gar nichts zu tun, auch wenn die ökonomischen Verhältnisse nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums durchaus vergleichbar waren.

Macht nichts. Denn in Polen würde diese Geschichte auch niemand verstehen.


Aus Spiegel Online vom 25.08.2004

Ich habe ja doch schon gut gelacht als ich den Artikel gelesen habe. Meine Lieblingsstelle ist ja: "Ich kann mir noch nicht einmal den Eintritt ins Schwimmbad leisten [mit 1550 Euro zu zweit im Monat]".


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bonum agere et bonum edere,
sol delectans et matrona delectans

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post 26 Aug 2004, 16:27
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Straight Esh
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Lebensversicherung ist so ein Stichpunkt. Tatsache ist, das bei Hartz IV Lebensversicherungen nur verkauft werden müssen, wenn der Rückkaufswerk maximal 10% unter den eingezahlten Leistungen liegt (Wirtschaftlichkeit). Heisst also, dass man in vielen Fällen also seine Lebensversicherung behalten kann, zumal weiterhin auch noch ein gewisser Freibetrag gewährt bleibt. Riesterrenten als vom Staat vorgeschlagene private Rentenversicherung werden sowieso nicht belangt.

Andererseits muss man auch bedenken, dass man z.B. mit der bedingungslosen Nichtbeachtung von Lebensversicherungen ein ganzes Schlupfloch öffnen würde. Ich bin mir sicher, dass es über kurz oder lang Versicherungen gäbe, die eine "Risikoversicherung" anbieten, bei der man mit einem beträchtlichen Vermögen einsteigen kann, damit eine Lebensversicherung erhält, die fällig wird, wenn man nicht mehr arbeitslos ist, und in die man keine Beiträge zahlen muss, wenn man arbeitslos ist. Ein schönes Schlupfloch vor allem für Besserverdienende unter uns, die mal eben 30.000 Euro aufwärts besitzen und diese vor der Arbeitslosigkeit retten müssen. Ein Fall, der sicher häufiger auftreten würde, der aber den wirklich Armen unter uns, die meistens an Arbeitslosengeld nicht viel mehr bekommen, als an Sozialhilfe/Hartz IV überhaupt nichts nutzt.

Kleingärten, ok. Aber was ist mit den Leuten, die sich sowieso nie einen Kleingarten leisten konnten?

Klar, ist uncool mit anzuschauen, wie sich die Sächsische Landesregierung gegen ein von ihr mitbeschlossenes Gesetz aufbäumt und gleichzeitig ihre Diäten erhöht.
Klar, ist es ungerecht, dass wir hier großverdienende Handeslketten haben und eine breite Masse Arbeitsloser, für die keiner eine Verantwortung übernehmen will.

Aber, das Geld, das ein Hartz IV Empfänger bekommt, entspricht ungefähr das, was ein durchschnittlicher Student bekommt. Zudem hat der Hartz IV Empfänger auch noch die Möglichkeit, genauso wie ein Student, einen Zuverdienst von 400 Euro im Monat zu erhalten, ohne, dass ihm seine Hilfe gestrichen wird.

Wenn du also gegen Hartz IV motzt, musst du auch gegen Bafög motzen. Und für die Einführung eines Mindestlohnes von 6 Euro die Stunde. Die Zeit des Motzen muss ein Ende haben. Entweder es passiert hier irgendwas, dass sich mal alle ein bisschen umdrehen, und auch die großen Verkäufer in Deutschland wieder an der Situation in Deutschland beteiligt werden, oder die Deutschen bleiben weiterhin ein Volk von Motzern, denen man jegliche Maßnahme aufdrängen kann. Wie gesagt, nicht Hartz IV ist das Problem, sondern die Politik die dahinter steht.

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