"mit 331 Euro kommt man ganz gut hin"- wenn ich nur so viel hätte!
http://www.sz-online.de/nachrichten/artike...l.asp?id=749336331 Euro reichen aus
Stephan Hilsberg, Chef der ostdeutschen SPD-Abgeordneten im Bundestag, ist gegen eine Anhebung des Arbeitslosengeldes II im Osten.
Sie sind seit kurzem Chef der Landesgruppe Ost der SPD-Abgeordneten im Bundestag. Was haben Sie sich denn für 2005 vorgenommen?
Wir müssen damit aufhören, Ostdeutschland nur unter dem Gesichtspunkt der Angleichung der Lebensverhältnisse zu sehen. Es wird immer wichtiger, erst mal die eigenen Chancen, den eigenen Spielraum zu betrachten, statt sich immer nur an anderen zu orientieren. Der Sachverständigenrat hat Deutschland insgesamt ins Stammbuch geschrieben, dass nur noch ein Wachstumspotenzial von einem Prozent durchschnittlich pro Jahr zu erwarten ist. Der Osten bräuchte aber eine Verdoppelung des Bruttoinlandsproduktes, um von der hohen Arbeitslosigkeit runterzukommen. Die logische Schlussfolgerung daraus ist: Wir müssen uns an die Spitze der Bewegung stellen.
Muss man sich von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für die überschaubare Zukunft verabschieden?
Das ist eine schwierige Frage, weil sie leider auch ein Stück ideologisch betrachtet wird. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist eines der wesentlichen Ziele der Bundesrepublik. Deshalb würde ich mich nicht davon verabschieden. Aber zu glauben, es gäbe irgendwo ein Konzept, die Gleichwertigkeit innerhalb von zehn oder 15 Jahren zu erreichen, ist illusorisch. Von dieser Illusion muss man sich verabschieden. Es gibt zunehmend politische Handlungsfelder, die in Ostdeutschland selbst angesiedelt sind und für die man niemanden anders verantwortlich machen kann, außer uns selbst. Deshalb ist es ein Fehler, nur die alten Bundesländer oder den Bund in Haftung zu nehmen für die Angleichung der Lebensverhältnisse. Wenn wir unsere Hausaufgabe nicht machen, dann ist es falsch, die Klagen bei anderen abzuladen.
Bis auf Sachsen geben die Ostländer aber noch nicht mal das Solidarpaktgeld regelgerecht aus. Müssen die sich mehr anstrengen?
Natürlich. Aber das wird nicht von heute auf morgen gelingen. Die sachgerechte Verwendung knüpft sich auch an konsolidierte Haushalte. Und die sind bis auf Sachsen in Ostdeutschland nicht vorhanden. Die Verschuldung schränkt die ostdeutschen Länder bei ihren eigenen politischen Möglichkeiten, zu einer Verbesserung der Lage zu kommen, erheblich ein. Denn auch in Ostdeutschland gilt, was für alle gilt: Bildung, Wissenschaft und Forschung sind die Zukunftsfelder. Wer überschuldete Haushalte hat, zu hohe Verwaltungsausgaben hat, der kann auf diesen Feldern keine Fortschritte erzielen. Deshalb müssen die Haushalte konsolidiert werden, sonst fehlt der Handlungsspielraum. Hinzu kommt eine strategische Frage: Länder wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern, aber vermutlich auch Brandenburg und Thüringen werden sich kaum aus eigener Kraft aus der Verschuldungsfalle befreien können. Sie müssen deshalb langfristig über die Änderung der Ländergrenzen nachdenken. Lebensfähige Länderstrukturen gibt es nur durch Fusion. Es ist eine verpasste Chance, wenn über diese Frage in der weiteren Föderalismusdebatte nicht geredet wird.
Muss das unterschiedliche Arbeitslosengeld II in Ost und West bald angeglichen werden?
Das Arbeitslosengeld II sollte gar nicht angeglichen werden. Man muss sich mal ein paar volkswirtschaftliche Eckdaten zu Gemüte führen. Der Osten hat durch niedrigere Lohnkosten klare Vorteile. Dieser Investitionsvorteil darf nicht verspielt werden. Damit verbunden ist allerdings auch ein anderes Niveau bei den Lohnersatzleistungen. Das hat was mit dem Lohnabstandsgebot zu tun. Wenn ich als Ostdeutscher eine Politik mache, die diese Lohnersatzleistungen auf das westdeutsche Niveau hebt, dann bin ich in der Gefahr, ein Stück dieser Vorteile zu verspielen. Außerdem: Im Osten kommt man in vielen Regionen mit 331 Euro ganz gut hin, auch wenn die Betroffenen das als ungerecht empfinden. Aber es ist so. Gerecht ist es, wenn der Osten den wirtschaftlichen Anschluss findet.
Das Gespräch führte Peter Heimann
Dieser Beitrag wurde von Robotron72: 30 Dec 2004, 12:09 bearbeitet angehängte Bilder