Heute: Prof. Dr. Bärbel Bergmann:
Der Mensch als Gegenstand experimenteller Untersuchungen Der Gegenstand der Psychologie ist das Verhalten, Erleben und Bewusstsein des
Menschen. Wissenschaftliche Arbeit hat das Ziel, den Gegenstand eines Faches zu
beschreiben, zu erklären und als Folge davon Vorhersagen zu leisten.
Zum Beschreiben gehört das Definieren, Ordnen und Klassifizieren der Phänomene, so dass
Angaben zu Häufigkeiten und Ausprägungsgraden gemacht werden können. Das betrifft
beispielsweise Angaben über Auftrittshäufigkeiten behandlungsbedürftiger psychischer
Störungen in der Bevölkerung.
Erklärungen sind Analysen über Bedingungsverhältnisse bzw. Angaben über Abhängigkeiten
zwischen Sachverhalten. Dabei betrifft ein Sachverhalt eine Ursache und ein anderer
Sachverhalt eine Wirkung. Das methodische Werkzeug zur Konstruktion von Erklärungen ist
das Experiment. Es erfordert die Manipulation von Bedingungen. Das Experiment ist als
Erkenntniswerkzeug in den Naturwissenschaften entwickelt worden und erst mit der
Etablierung der Psychologie als eigenständige Disziplin – dies wird zeitlich mit der Eröffnung
des ersten psychologischen Labors der Welt durch Wilhelm Wundt im Jahre 1879 bestimmt
– in die Psychologie importiert.
Das psychologische Experiment weist jedoch gegenüber dem physikalischen Experiment
Besonderheiten auf. Diese hängen mit dem Untersuchungsgegenstand zusammen und
betreffen folgendes:
- Der Mensch hat die Fähigkeit, in einem gewissen Grade Kontrolle über sein Erleben und
Verhalten auszuüben. Er nimmt zu Einflüssen von außen Stellung und bewertet diese.
Das beeinflusst sein Handeln und erschwert es, kausale Zusammenhänge zu entdecken.
- Der Mensch lernt. Ein zum zweiten Mal durchgeführtes Experiment ist deshalb nicht das
gleiche Experiment.
- Menschliches Verhalten wird durch Beobachtung verändert.
- Die Subjekt-Objekt-Relation unterscheidet sich im psychologischen von der im
physikalischen Experiment. Im physikalischen Experiment ist sie eindeutig. Subjekt und
Objekt können nicht die Plätze tauschen. Im psychologischen Experiment erfolgt eine
Verabredung der Rollen. Die soziale Interaktion birgt Verzerrungsquellen.
- Ein physikalischer Untersuchungsgegenstand ist passiv, ahistorisch, mit konsistenten
Eigenschaften manipulierbar. Der psychologische Gegenstand hat diese Eigenschaften
nicht.
- Der Gegenstand der Psychologie verlangt die Einhaltung ethischer Normen. Während die
naturwissenschaftliche Forschung eher im Bereich der Anwendung des Wissens (z. B.
Entwicklung und Einsatz der Atombombe) zu ethischen Problemen führt, ergeben sich bei
der Untersuchung am Menschen schon Probleme beim Prozess des Wissensgewinns.
In der Vorlesung werden diese Besonderheiten erläutert und durch Beispiele von
Experimenten illustriert.