Ich bin seit einem Jahr mit dem Studium fertig und seitdem - wie es sich gehört - "im Job". Eigentlich gibt es nichts über das ich mich beschweren dürfte. Ich arbeite von 8,00 bis 17,00 Uhr und habe ein Einstiegsgehalt das mir fast peinlich ist. Aber trotzdem kann ich nicht richtig zufrieden mit mir sein. Warum? Da wäre zunächst das, womit ich meinen Tag verbringe: die Arbeit. Das von vielen Büro-Veteranen beschriebene Gefühl, sich als winziges Zahnrad in einem großen Getriebe zu fühlen hat sich bei mir nach weniger als einem Jahr eingestellt. Der Gedanke, dass ich noch weitere 40 Jahre hinter einem Schreibtisch sitzen und den immer gleichen scheißlangweiligen Mist machen muss, macht mich krank. Dazu kommt das gestelzte Business-Getue der Kollegen, dieses ewige aalglatte Gequatsche vom Urlaub auf Bali, vom neuen Fernseher oder der dem neuen BMW. Ich habe meinen Hoody und meine abgetragenen Jeans gegen einen schwarzen Anzug getauscht und sehe mich von Menschen umgeben, die prahlerisch davon schwadronieren, wie sie nach der Wende Zementwerke "durchrationalisiert" haben, wie sie die Belegschaft von 2000 auf 300 Mitarbeiter reduzierten. Wozu braucht ein Zementwerk einen Kindergarten... haha, die dummen Ossis. Gut, dass meine Großväter nicht sehen können, mit wem ich da in der Lobby Sekt trinke. Aber gut, man kann nicht jeden mögen; Im Berufsleben auf das ein oder andere Arschloch zu treffen ist wohl unvermeitlich - kein Grund unzufrieden zu sein. Aber da ist noch mehr. Seit ich Dresden auf unbestimmte Zeit verlassen habe wird mir immer mehr bewusst wie ich mit der Stadt verbunden bin. Dass eine Stadt eine Identität hat, wurde mir erst begreiflich als ich in München ankam. Porsche hier, Gucci da, Mieten, die jeder Beschreibung spotten.... Ich bin mir nicht sicher, ob das was ich hier schreibe verstanden wird. Ich sehne mich einfach nach der guten alten Studentenzeit, mit fast grenzenloser Freiheit trotz der wenigen Kohle in dieser herrlichen Stadt. Bier an der Elbe, die BRN, das Hebedas, Katy's, die Bar Holda, Olaf Schubert, WG-Parties, ausschlafen ... Wahrscheinlich ist es die Erkenntnis, dass diese Zeit entgültig vorbei ist. Und vielleicht ist es auch die Erkenntnis, dass ich das, was ich da mache, eigentlich garnicht möchte. Und, dass ich auf meine dauerstudierenden kellnernden Kumpels irgendwie neidisch bin.
Ich habe meinen Hoody und meine abgetragenen Jeans gegen einen schwarzen Anzug getauscht und sehe mich von Menschen umgeben, die prahlerisch davon schwadronieren, wie sie nach der Wende Zementwerke "durchrationalisiert" haben
als auch das andere
Zitat(schlafanfall @ 02 Jul 2012, 18:00)
mit 35 immer noch besoffen mit den jungen leuten rumhängen?
zu meiden und eine für dich funktionierende Ballance zu finden. Man erwischt sich gerade in der ersten Zeit oft dabei, manche Dinge, die man früher als spießig abtat, wie selbstverständlich zu tun. Das ist in einem gewissen Rahmen normal. Dennoch muss man keinen Anzug tragen und auch nicht CDU wählen, um sich von seiner Studienzeit erfolgreich zu emanzipieren.
Wenn dir dein jetziger Lebenswandel nicht liegt, dann scheiß auf die Kohle und such dir einen Job, in dem du mehr Spaß hast und nicht ständig sämtliche Moralvorstellungen über Bord werfen musst. Das kann durchaus in der gleichen Branche möglich sein. Längst nicht jeder Anzugträger ist ein widerlicher Businesskasper, aber auch längst nicht jeder Hoodieträger ist sympathischer als eine Flasche Bionade.
Vielen Leuten geht es wie dir. Die meisten geben irgendwann auf, werden fett und verkloppen Frau, Kinder, Geld, machen die nächsten 40 Jahre Urlaub in Lido* und erschießen ihre Nachbarn*.
Ich empfehle den Kampf aufzunehmen bevor es zu spät ist. Viel Erfolg. Wir sehen uns dann in Dresden