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 22 Jul 2006, 13:50
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Punkte: 4329
seit: 30.08.2005
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Friedrich Hollaender [Lieder eines armen Mädchens] Wenn ick mal tot bin
Wenn ick mal tot bin und in weißen Seidenkleid in meinen Sarie lieje mit Bescheidenheit, dann fällt die Schule aus, dann jeht's zum Kirchhof raus, die janze Klasse kommt bei mir ins Trauerhaus, die wolln mir alle sehn, wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, ach, det wird zu scheen!
Wenn ick mal tot bin, kommt ooch Pastor Eisenlohr, der liest'n schönen Vers aus seine Bibel vor: Wer ohne Schuld tut sein, der schmeiß den ersten Stein uff Liesken Puderbach, det liebe Engelein. Doch ick - ick lieg janz still, wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, mach ick, was ick will.
Wenn ick mal tot bin, zündn se jelbe Lichter an, die stelln se rechts und links an mir janz dichte ran, dann fällt een joldner Schein uff meen verstorbnet Jebein, und unser Lehrer, 'der fängt furchtbar an zu wein! Nur Tante freut sich sehr, wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, eß ick doch nischt mehr!
Wenn ick mal tot bin, schick ick aus mein kleenet Jrab mein Letzten Willn und wat ick zu vermachen hab: mein Püppchen ohne Kopp, mein rotet Band forn Zopp und dann ooch noch den jlanzrichen Perlmutterknopp. Den will ick Truden schenken, wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, soll se an mir denken.
Wenn ick mal tot bin, dann fängt erst mein Leben an, wenn ick durchs Wolkenmeer in Himmel schweben kann, die Engel tiriliern, die Geijen jubiliern, wenn zum Empfang von Liesken alle aufmarschiern. Mensch! Machen die een Krach, wenn ick mal tot bin. Wenn ick mal tot bin, is mein schönster Tach!
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 25 Jul 2006, 06:53
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Punkte: 4329
seit: 30.08.2005
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wenn stricke reißen fallen leichen,fallen grenzen zwischen uns.wenn schmerzen beißen brennen körper,brennen strecken zwischen uns.wenn stimmen schreien laufen blicke,laufen tränen zwischen uns.wenn briefe flehen werden kettenund zersprengen alle strecken zwischen uns.
Dieser Beitrag wurde von Julschn: 25 Jul 2006, 06:54 bearbeitet
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 18 Aug 2006, 00:11
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Neuling
Punkte: 5
seit: 17.08.2006
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Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn, und das Ende ist dort. Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar; ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. Ihr bringt mir alle die Dinge um.
-Rilke-
Dieser Beitrag wurde von dshami: 18 Aug 2006, 00:16 bearbeitet
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 19 Aug 2006, 12:58
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1. Schein 
Punkte: 42
seit: 10.06.2006
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Theodor Storm
Geflüster der Nacht
Es ist ein Flüstern in der Nacht, Es hat mich ganz um den Schlaf gebracht; Ich fühl's, es will sich was verkünden Und kann den Weg nicht zu mir finden.
Sind's Liebesworte, vertrauet dem Wind, Die unterwegs verwehet sind? Oder ist's Unheil aus künftigen Tagen, Das emsig drängt, sich anzusagen?
Wenn man in Storms Gedichten blättert, so fällt einem auf, wie viele seiner Strophen jenem seltsamen Zwischenbereich gewidmet sind, in dem das selbstgewählte Fürsichsein dessen, der sich schlafen gelegt hat, kippen kann in einen Zustand der Unruhe, ja des Ausgeliefertseins, der von Grübeln und Zweifeln und selten nur von erlösenden Träumen erfüllt ist.
Dieser Beitrag wurde von zorronte: 19 Aug 2006, 15:04 bearbeitet
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 24 Aug 2006, 12:48
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3. Schein   
Punkte: 205
seit: 15.02.2005
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Robert Gernhardt: Weils so schön war Paulus schrieb an die Apatschen: Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen. Paulus schrieb an die Komantschen: Erst kommt die Taufe, dann das Plantschen. Paulus schrieb den Irokesen: Euch schreib ich nichts, lernt erst mal lesen. Robert Gernhardt: Wie tun es die anderen? Heute: Die Inselbewohner Man tuts auf den Komoren mit angelegten Ohren Man tuts auf den Lofoten mit schräggestellten Pfoten Man tuts auf den Kykladen mit abgespreizten Waden Man tuts auf den Mollukken genauso, nur im Ducken Man tuts auf den Seychellen an höchst versteckten Stellen Man tuts auf den Kurilen nach stundenlangem Zielen Man tuts auf den Antillen in Trance, wie wider Willen Man tuts auf der Insel Juist indem man durch den Schniepel niest. http://www.litlinks.it/g/gernhardt_r.htmDieser Beitrag wurde von aspasia: 24 Aug 2006, 12:49 bearbeitet
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man muß lernen, den anderen manchmal untreu zu sein, um es sich selbst gegenüber nicht zu sein benoîte groult
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 24 Aug 2006, 12:52
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3. Schein   
Punkte: 205
seit: 15.02.2005
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Robert Gernhardt: Theke - Antitheke - Syntheke Beim ersten Glas sprach Husserl: "Nach diesem Glas ist schlusserl." Ihm antwortete Hegel. "Zwei Glas sind hier die Regel." "Das kann nicht sein", rief Wittgenstein, "Bei mir geht noch ein drittes rein." Woraus Herr Kant befand. "Ich seh ab vier erst Land." "Ach was", sprach da Marcuse, "Trink ich nicht fünf, trinkst Du se." "Trinkt zu", sprach Schopenhauer, "Sonst wird das sechste sauer." "Das nehm ich", sagte Bloch, "Das siebte möpselt noch." Am Tisch erschall Gequietsche, still trank das achte Nietzsche. "Das neunte erst schmeckt lecker!" "Du hast ja recht, Heidegger", rief nach Glas zehn Adorno: "Prost auch" und nun von vorno!" Robert Gernhardt "Im Glück und anderswo. Gedichte" S. Fischer, Frankfurt am Main, 2002, S. 248 http://www.litlinks.it/g/gernhardt_r.htm [/quote] Dieser Beitrag wurde von aspasia: 24 Aug 2006, 12:57 bearbeitet
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 24 Aug 2006, 13:04
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2. Schein  
Punkte: 109
seit: 12.10.2005
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Kleines Beispiel
Auch ungelebtes Leben geht zu Ende zwar vielleicht langsamer wie eine Batterie in einer Taschenlampe
Aber das hilft nicht viel: Wenn man (sagen wir einmal) diese Taschenlampe nach so- und so vielen Jahren anknipsen will kommt kein Atemzug Licht mehr heraus und wenn Du sie aufmachst findest Du nur Deine Knochen und falls Du Pech hast auch diese schon ganz zerfressen
Da hättest Du genau so gut leuchten können
Erich Fried
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 16 Dec 2006, 18:24
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~~~27~~~         
Punkte: 4329
seit: 30.08.2005
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Die Nacht, das Glück, der Tod
Verlassen stieg
Verlassen stieg die Nacht an Land, der Tag war ihr davongerannt. Durchs Dunkel tönte ihr Geschrei, wo denn der liebe Tag wohl sei.
Indessen saß der Tag bei mir, bei weißem Brot und hellem Bier hat er die Suchende verlacht: Die säh doch nichts, es sei ja Nacht.
Und endlich trat
Und endlich trat das Glück herein, sehr still, auf sieben Zehen. Im frühen Morgensonnenschein konnt ich es humpeln sehen.
"Was ist mit deinen Zehen, sprich!" "Darüber spräch ich lieber nicht. Drei hat mir eine Tram gekappt -" "Kann man nichts machen. Pech gehabt."
Denkt euch
Denkt euch, ich habe den Tod gesehn, es ging ihm gar nicht gut. Seine Hände wirkten so seltsam bleich, so gar nicht wie Fleisch und Blut.
Und auf dem dürren Hals saß gar ein Kopf, der ganz aus Knochen war. Aus Knochen, ganz aus Knochen, denkt! Da hab ich ihm fünf Mark geschenkt.
Robert Gernhardt
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