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- Der Sammelthread für eure Kurzgeschichten -
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 30 Nov 2006, 19:41
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1. Schein 
Punkte: 42
seit: 10.06.2006
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... ... ich lief in Lichtgeschwindigkeit zu meinem Freund Klaus.
Der erste Tag - immer noch
Um mit Lichtgeschwindigkeit zu laufen, muss ich vor mir eine freie Strecke haben, denn sonst könnte Frau Ursela Grubenberg und ihrem Hund das gleiche passieren wie letzte Woche. Letzte Woche bin ich so schnell an der alten Dame vorbeigelaufen, dass ihr beinahe das Herz aus dem Rock gefallen wäre. Ein D-Zug sei an ihr vorbeigerauscht, schimpfte sie. Einen Mordsschrecken habe man ihr beschert. Daisy - ihr Affenpinscher - schaut aus, als käme er aus einem Windkanal voller Haarspray; von hängenden Ohren kann keine Rede mehr sein. Sie glaubt sogar, dass die Ohren ein wenig länger geworden sind; er sieht aus wie eine Nachttischlampe, beklagte sie sich nochmals. Das alles berichtete sie meiner Mutter. Zur Strafe musste ich für Frau Grubenberg einen Kuchen backen, und als Belohnung durfte Vater mir helfen. Vater und ich machen den leckersten Käsekuchen in ganz Hamsdorf, mit einem Boden aus Kekskrümmeln, vielen Himbeeren und zum Quark etwas Ahornsirup. Ein Kuchen so schön wie er riecht. Und warum er so gut schmeckt, will ich auch verraten. Wenn die Ofenwärme den Kuchen schon ganz wumpig und goldgelben gemacht hat, dann schmiert Vater einen Schaum darauf, den ich aus Eiweiß, Puderzucker und Zimt zaubere. Vater nennt das Baiser, ich nenne es Zuckerhaube oder Zuckerkruste oder manchmal auch Tränenzucker, denn er wird schnell fest, und wenn sich der Kuchen abkühlt, dann kommt die Feuchtigkeit aus der Käsemasse durch den Zuckermantel und bildet Perlen, die aussehen wie Tränen. Und als ob der Käsekuchen nicht schon gut genug schmecken würde, durfte ich auch noch den Hund von Frau Grubenberg ausführen, damit sie ihre Beine zur Fußpflege tragen konnte.
Also, bevor ich wie ein D-Zug losfahre, schaue ich jetzt nicht nur nach rechts und links, sondern auch nach hinten und nach vorne, ganz weit nach vorne, dort wo die Farben verschwinden, dort wo der Weg zum Punkt wird, dort wo alle Dinge grau sind und ich so oder so gar nicht weiß, ob dahinten alles frei ist. Und es geschah, dass aus dem Weg zu meinem Freund Klaus eine lange, lange Reise wurde. In Windeseile war ich vorbei an den drei Kirschbäumen, dem ungepflegten aber hübschen Garten, dem grünen Holzzaun, der das Haus von Familie Karlson umzäunt; vorbei am roten Gartenzaun, hinter dem Lisa oft auf mich wartet, um mich für ein kurzes Stück zu begleiten - ein Wettrennen zwischen vier Pfoten und zwei Beinen, dass ich immer gewinne, wenn die Wegkreuzung erreicht ist und der Zaun so plötzlich in eine andere Richtung steht. Ich war noch nicht einmal außer Atem, als sich mir eine Hürde in den Weg stellte, ich mit aller Kraft meine Schuhsohlen in den trockenen Kies presste, um nicht gegen das kleine aber blonde Hindernis zu laufen; ein Hindernis namens Karin. So überrascht ich war, so beeindruckt war sie von der Staubwolke, die sich hinter mir aufbauschte und leise zum Himmelblau aufbrach. Karin ist meine Banknachbarin, die Klassenschönste und nimmt Klavierunterricht. Wenn sie lacht, dann sieht man ihre Zahnspange, bei Sonnenschein funkelt die wie eine Fahrradfelge. Ich glaube, dass Karin mich nicht mag. Sie ist fast nie alleine, hat immer andere Mädchen um sich herum. Ihr Benehmen ist umso schrecklicher, desto mehr Mädchen sie um sich hat. Wenn ich ihr auf dem Schulhof begegne oder ich in den Klassenraum komme, dann schauen sie kurz, flüstern mit der Hand vorm Mund und kichern wie ein Rudel Hühner. Manchmal ruft sie Träumer. Ich verstehe sie nicht. Für jeden Träumer denke ich mir einen kleinen Streich aus. Erst neulich habe ich einen riesigen Tintenklecks in ihr Pausenbrot gemacht; eine ganze Patrone habe ich ausgedrückt. Das halbe Brot verschlang sie, dann wurde sie rot vor Wut. Zum Glück standen wir jetzt nicht auf dem Schulhof und sie fragte: „Hallo schneller Prinz. Wohin des Weges?““ „Einmal um die Erde und zurück.“, sagte ich. Sie fragte, ob ich denn schon in ihr Poesiealbum geschrieben habe; morgen ist der letzte Schultag und sie würde es gerne wiederhaben. Erwischt. Ich sagte nichts, hüpfte von einem Bein aufs andere Bein, gab ein paar Halbtöne von mir und bohrte mit dem Finger im Ohr. Wie konnte ich ihr sagen, dass ihr Poesiealbum auf der Heizung liegt, noch nicht ganz trocken ist, viele Seiten verbrannt sind und überhaupt wie ein Aquarellmalbuch aussieht, aus dem Farbe tropft. Das mit dem Poesiealbum ist eine lange Geschichte. Es passierte, als ich auf Toilette saß und mich mit viel Not meiner Seite hingab. Ich hatte alle Fragen beantwortet, hab gelogen bei der Lieblingsmusik und schrieb die Wahrheit bei der Augenfarbe, auch habe ich meine Seite mit einer Zeichnung verschönert - eine fliegende Kuh mit rosa Pantoffeln und Zebrastreifen. Als ich die Streichhölzer auf dem Badewannenrand liegen sah, kam mir eine glorreiche Idee in den Kopf. Meine Seite sollte zur Schönsten im ganzen Poesiealbum werden; wie ein altes Pergament sollte sie aussehen, wie ein längs vergessenes Blatt Papier, verschlossen in einer Truhe auf dem Dachboden einer Dorfkirche. Ich zündete einen Streichholz, wurde ganz hibbelig und warf ihn schnell wieder zwischen meine Beine hindurch in die Toilette. Ich zündete noch einen Streichholz und schaute zu, wie das kleine warme Licht an den Blatträndern zu knabbern begann. Bevor ich mich versah brannte auch schon eine ganze Seite. Am Anfang nur die mit der Kuh drauf, doch es folgte noch Eine und noch Eine. Jetzt war ich nicht nur hibbelig, sondern hüpfte auch von der Brille, zappelte und warf das Poesiealbum in die Toilette; das zischte und hat fürchterlich gequalmt. Nun liegt das Aquarellmalbuch auf meiner Heizung und sieht wahrlich aus wie ein alter Fund.
Und in wenigen Tagen wird erzählt, was passiert, wenn man seine Klassenkameraden anlügt und Kröten in Kochbücher presst.
Dieser Beitrag wurde von zorronte: 01 Dec 2006, 09:06 bearbeitet
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 30 Nov 2006, 23:08
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Neuling
Punkte: 2
seit: 08.08.2006
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oh mann, leider bin ich erst jetzt zum lesen gekommen. später kommentar, aber auch ich muss mich anschließen: die penis-geschichte ist einfach schlecht. und zwar abgrottentief.... hey, du bist deswegen kein schlechter mensch (hoff ich mal)
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er wird abwischen alle tränen von ihren augen und der tod wird nicht mehr sein
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 01 Dec 2006, 13:25
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Vordiplom     
Punkte: 638
seit: 29.04.2006
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Zitat(der-prophetII @ 30 Nov 2006, 12:05) Und noch mehr! Gerade das Ende zeigt nochmal offensichtlich, wie sehr sich versucht wird an Bukowski anzulehnen. Meiner Meinung nach - wenn ich diese Geschichte mit denen Bukowskis vergleichen muss - fehlt hier das Deftige, das Ekelhafte. Es wirkt irgendwie etwas lasch und fad. "C. Bukowski ist nicht nur ein außerordentlicher Autor, weil er außerordentliche Menschen und Situationen beschreibt. Er beeindruckt, ja überwältigt mit seiner selten zu lesenden Ehrlichkeit." - Günter Krall "Außerordentliche Menschen", "außerordentliche Situationen", "beeindruckt", "überwältigt" und "Ehrlichkeit"; das trifft genau auf "Hank Chinaski"  zu. Das fehlt hier leider. Bitte als einen Versuch konstruktiven Kritikgebens verstehen. Noch ein, zwei Geschichten, dann wird vielleicht was draus   danke für dein posting. mit so einem kommentar kann ich etwas anfangen. aber meinst du mit "gerade das ende" den gemeinsamen ausruf? denn das war in erster linie ein intertextueller verweis an goethes werther.... na wenn euch die geschichte auch nicht gefällt, auf jeden fall scheint sie hum ich mag diesen begriff nicht zu polarisieren... @zorronte: nette geschichte, ja. aber was willst du damit sagen?
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 01 Dec 2006, 15:02
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1. Schein 
Punkte: 42
seit: 10.06.2006
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... , dass es beim Kacken auf die Zutaten ankommt und man beim Backen nicht in der Nase bohrt.
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 01 Dec 2006, 16:43
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2. Schein  
Punkte: 109
seit: 12.10.2005
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Hört, hört! Auf keinen Fall sollte man mit den beim Kacken gewonnenen Zutaten backen! Welch schelmischer Geist, der durch die Straßen läuft und dabei zugleich Kind und Erwachsener sein will. Eine Übung, die einen Spagat verlangt, an dem sich schon einige den Schritt verzerrt haben.
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 08 Dec 2006, 00:55
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1. Schein 
Punkte: 42
seit: 10.06.2006
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Vater
Ergrauter Mann, war einst jünger als ich heut' ungescheut mit Witz die Mutter anzugraben schaut er verblüfft - ihr Bauch ganz rund und ... muss nun diese Zeilen ertragen
Holzwagen und Indianer, nie Puppen schenkte er stark er, der wundervolle Märchen erfand zugeschlagen hat er nie, doch als Vormund hart derart barst die Haselnuß in seiner Hand
Allerhand verging, bis zum ersten Schachgewinn sieh hin, mein Spiegelbild trägt Falten fand man bei ihm doch schon vor langer Zeit bereit als Freund ihn zu behalten
Durchhalten, auch wenn er ruht im Krankenbett kokett der Krebs sein Bein schon ziert festhalten, er wird mich nicht vertreiben bleiben werd' ich, bis auch das Zweite amputiert
Dieser Beitrag wurde von zorronte: 08 Dec 2006, 09:03 bearbeitet
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 14 Dec 2006, 00:57
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Propagandapanda         
Punkte: 3074
seit: 17.11.2004
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zu Hause
Danach gibt es keine Zeit mehr.Zu Hause fängt dort an, wo Zeit nicht mehr in Minuten,Sekunden oder Stunden zerfällt.Wo Sekundenkleber das Uhrwerk anhält. Wo Augenblicke nicht flüchtig sondern unvergessen bleiben.Jedes Lachen und jedes im Zorn gesprochene Wort bleibt auf Ewig, wenn man zu Hause ist. Und zu Hause kann überall sein.
Seht ihr die Villa dort an den Bahngleisen,einen Steinwurf von Polen entfernt? Auf ihrem Dachboden habe ich oft nach Gespenstern gesucht aber nichtmal Fledermäuse gefunden.Papa hatte dort oben sein Labor und es roch nach Funkenflug, Staub und kleinen Explosionen. Vor dem Mittagessen war er dort oben und schraubte und erfand kleine Dummheiten. Ich war gern bei ihm und spielte mit Uhrwerken und drehte an Zeigern die ich nicht verstand. Mit der Wende verschwand das Labor aus dem Dachboden, die Küche mit den Tomatenflecken an der Decke und das kleine Bad mit der roten Glasfasertapete. Danach lief die Zeit wieder, die Uhr wurde repariert und nichts blieb mehr Ewig. Übrig blieben kahle Räume und der Kopf meines Lieblings Teenage Mutant Hero Turtles. Und zu Hause kann überall sein.
Ein kleines dorf zum Beispiel, dreizehn Häuser und eine Scheune verteilt auf zwei Strassen, bewohnt von fünfzig Studenten und unzähligen Ratten. Ein schönes Leben mit verkrazten Edith Piaf Platten, gemeinsamen Kochen,Lagerfeuerabenden und Sternbrug Export Flaschen auf Weihnachtsbäumen.Langsam sickerte erneut Sekundenkleber zwischen die Räder, und brachten die Welt zum verstummen.[....]
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myrmikonos was here
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