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eXma schreibt Kurzgeschichten

- Der Sammelthread für eure Kurzgeschichten -
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post 03 Jul 2006, 23:36
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(i)
*********

Punkte: 3098
seit: 17.12.2005

Sehr schön! Man glaubt sich in deinen Kopf hineinversetzen zu können und ich erkenne auch mich selbst unter Drogen wieder. Gut beschrieben. Bin auf die Fortsetzung gespannt.


--------------------
Du sagst alle wolln in den Himmel. Alle wolln wie Könige agiern. Doch niemand will am Ende sterben und keiner will regiern.


Puste was here
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post 05 Jul 2006, 20:33
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1. Schein
*

Punkte: 42
seit: 10.06.2006

Der erste Tag

Zu der Zeit, als die Haare noch von der Mutti gemacht wurden, jedes Jahr neue Schuhe
gekauft werden mussten, da die Alten - Größe achtundzwanzig - nicht mehr passten und
ich noch auf Bäume kletterte, da fuhr jeden morgen der Bauer Stahlmeier mit seinem
Moped an unserem Haus vorbei, da verkehrte noch der Omnibus zwischen Humsdorf
und Hamsdorf, da wohnte der Zahnarzt in Hums und die beste Wurst gab es beim
Metzger Karlson. Der wohnte in Hams, so wie meine Eltern auch, und natürlich ich ebenso.
Ein Kinderzimmer und das Leben so einfach wie eine Antwort auf die Frage: welchen Weg
man denn von Humsdorf nach Hamsdorf nimmt. Wenn der Zahnarzt zum Metzger wollte,
dann gab es nur einen Weg: den Kastanienweg. Ich war damals schon so schlau, um zu
wissen, warum er denn so einen Namen hatte. Auf der linken und rechten Seite säumten
Kastanien den Wegrand. Die waren so groß, dass ich zwölf Schritte brauchte, um einmal
um den Baumstamm herum zu gehen. Der Weg war normal breit. Wenn sich zwei Traktoren
auf dem Kastanienweg trafen, dann vergingen schon mal Stunden bis die dicken Räder
aneinander vorbei waren. Da fuhr man wieder ein Stück zurück, da musste eine freie Stelle
zwischen den Kastanien gefunden werden, dann wurde noch wild mit den Armen gewackelt
und alles dauerte noch länger, wenn die Traktoren noch einen Anhänger hatten.
Zu einer Zeit, als ich noch so leicht war, dass ich hätte fliegen können; als ich das erste Mal
verlegen wurde, wenn einen die Mädchen anlächelten; oder auch nicht. Lang, lang ist es her,
dass ich zu manch später Stunde einer liebmütterlich gemeinten Untersuchung erlag.
Es wurde die Zuckerwatte aus dem Gesicht gewischt, die Haare vom Laub befreit und
manchmal auch die Knie mit einem Pflaster versorgt. Es ist vielleicht ein wenig gelogen;
meine Mutter machte sich nicht jeden Abend sorgen. Obwohl ich nie eine Uhr bei mir trug,
war ich doch ein pünktlich hungrig werdender Frechdachs. Nur manchmal, wenn die Zeit
ohne mich tickte, die Ferne so neu und der Weg zurück immer irgendwie länger als in die
andere Richtung war, da hatte Mutter die Hände in den Hüften, war sichtlich beruhigt und
war es noch mehr, wenn beide Arme und Beine noch dort waren, wo sie hingehörten.
Mein Vater nahm das Ganze ein wenig leichter. Wenn er kurz vorm Schlafengehen noch
an meinem Bett saß, dann sagte er mit seiner gutmütigen Männerüberlegenheit, dass ich
Mutter irgendwann einmal verstehen werde; zog mir die Decke bis zu den Schultern,
gab mir all seine Verbundenheit auf die Stirn und machte das Licht aus. Ich erinnere mich
noch ganz genau; es war der Tag vor meinem letzten Schultag. Ich hatte erfolgreich die
erste Klasse hinter mich gebracht und da auch meine Eltern nicht wussten, warum es
den letzten Schultag eigentlich gab, durfte ich an diesem Abend ein wenig länger von
zu Hause wegbleiben. Hände nicht gewaschen, Abendessen, mit dem Ärmel einmal über
den Mund und im Dreierhop zur Tür hinaus; draußen. Für einen kurzen Moment der Welt
die Zunge gezeigt. War so gemeint: kann ohne Hilfslinien schreiben, kann dividieren,
multiplizieren, plus und minus sowieso, und morgen sind Ferien. Ich lief in Lichtgeschwindigkeit
zu meinem Freund Klaus.

Und in wenigen Tagen wird erzählt, was passiert, wenn man in Lichtgeschwindigkeit
mit den Naturgesetzen zusammenprallt.




Dieser Beitrag wurde von zorronte: 05 Jul 2006, 20:46 bearbeitet
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post 05 Jul 2006, 20:43
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Zirpende Grille
*********

Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

wenn es ein smiley mit seltsam-verklärt lächelndem gesicht gäbe, ich würde es hier einfügen...


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Es ist kein Narr der Possen reißt und auch kein Narr der Unsinn spricht.
Der wahre Narr ist der, der meist nur staunt und blinden Glaubens ist.
Eichenschild
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post 05 Jul 2006, 20:56
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tanzendes kind
*******

Punkte: 1089
seit: 11.01.2005

das ist schön, das ist total schön!

und das erstemal, dass mich nicht nur inhalt sondern auch schreibweise beeindruckt!

*lob*


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du bist so schön, weil du lachst!


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post 05 Jul 2006, 22:34
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drawn to wisdom
*******

Punkte: 1230
seit: 20.10.2005

Zorrontes Schöpfung "Der erste Tag" liest sich wie ein Eintrag ins Tagebuch, dass man ein Jahr lang im Schreibtisch vergessen hatte. biggrin.gif
Zu einer Kurzgeschichte gehört doch auch eine Pointe, die aber hier irgendwie ausgeklammert im Raum-zeit-gefüge scheint : erster tag | humsdorf -kastanienweg -hamsdorf |letzter schultag.
Eine weitere Merkwürdigkeit:
Axiom [Naturgesetz] und Vektor [c] können kollidieren? Erwartet uns als Fortsetzung ein wissentschaflicher Exkurs? Das spricht mein Interesse an. Viel Spaß beim schreiben, Zorronte.

#erwartungsvoll,
myrmikonos
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post 05 Jul 2006, 23:19
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1. Schein
*

Punkte: 42
seit: 10.06.2006

Nicht zu jeder Kurzgeschichte gehört eine Pointe - viele enden mit Einer. Anekdoten enden immer mit einer Pointe.

Die Lichtgeschwindigkeit ist kein Vektor. Sie eine universelle Konstante – in der Mathematik sagt man Skalar dazu – und abhängig vom Medium in dem ich mich befinde, von der Frequenz der Strahlung und, darüber streiten sich Maxwell und Newton noch heute, von der Schrittfrequenz meiner Beine. Die Richtung zu meinem Freund Klaus ist dann der Vektor, auf dem ich mich bewege. Wenn Du Skalar und Vektor multiplizierst, dann weißt Du, wie weit es zu Klaus ist. Ist der Skalar negativ, dann laufe ich in die falsche Richtung.

Und Deine Frage, ob denn ein Naturgesetz mit einem Vektor kollidieren kann, muss leider mit nein beantwortet werden.

Dieser Beitrag wurde von zorronte: 05 Jul 2006, 23:24 bearbeitet
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post 05 Jul 2006, 23:42
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2. Schein
**

Punkte: 109
seit: 12.10.2005

Dieser Klaus war sicher ein ebenso rotzfrecher Knirps wie du, mit aufgeschürften Knien und dem Verlangen, niemals auf der Linie zu laufen. Eine lebensgroße Hüpfburg auf die Kindheit!
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post 06 Jul 2006, 00:18

Avatar-Untertitel
*******

Punkte: 1459
seit: 03.04.2006

Abhaengig von der Frequenz? Dann ist Lila-Licht in Waldmeistergoetterspeise anders schnell als Rotlicht?


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Gebrauchte, geprüfte SATA/IDE (500GB, 160GB, 120GB) Festplatten? --> https://www.exmatrikulationsamt.de/6058033
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post 06 Jul 2006, 09:00
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h0uSe NoT HoUsE
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Punkte: 3751
seit: 03.12.2003

Kammern fluten

Abtauchen. Schlecht geschlafen, schlecht geträumt. Und als ich die Augen öffne, habe ich urplötzlich eine schlechte Meinung von Dir. Ich stürze aus meiner Koje, raus an Deck und dreh mich dabei immer wieder um mich selbst. Schnappe nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Alle Leute zeigen mit dem Finger auf mich und lachen mich aus.

Und mein Herz klopft.

Das dritte Mal auf hoher See in den letzten fünf Jahren. Und doch eine ganz besondere Ausfahrt. Ich lache nicht. Die Wellen spielen mit mir. Werfen mich hin und her. Seekrank bin ich eigentlich nicht, dennoch ist mir speiübel. An der Reeling sind keine Seile, keine Stangen, kein Halt. Ein Ausrutscher und das wars. Die See verschlingt mich.

Und mein Herz klopft.

Ob der Rumpf den großen Druck ertragen kann. Ich bin schon auf über tausend Fuß gesunken. Ist das ein Experiment? Will mich jemand testen? Kann ich glauben was Du mir sagst? Ich habe vor langer Zeit mein Vertrauen in Worte verloren. Irgendwas in meinem Kopf schreit: "Kammern im Bug ein Viertel anblasen", irgendwoher wird der Befehl bestätigt. Ich tauche auf aus dieser schrecklichen Tiefe. Was erwartet mich da oben?

Und mein Herz klopft.


















Noch.


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post 14 Jul 2006, 06:29
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drawn to wisdom
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Punkte: 1230
seit: 20.10.2005

#muh

Dieser Beitrag wurde von myrmikonos: 18 Nov 2006, 11:40 bearbeitet
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post 14 Jul 2006, 22:34
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Zirpende Grille
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Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Endzeit
Graue Weite. Endlos. Wind. Viel Wind. Unnachgiebig zerrt er an dem wenigen Gestrüpp welches sich verzweifelt im Boden verkrallt. Plötzlich Ruhe. Ruhe vor dem Sturm? Ein Sonnenstrahl durchbricht die tiefhängende Wolkendecke und tastet sich mühsam bis zum Erdboden durch. Er fällt mir direkt vor die Füße. In Gedanken versunken starre ich ihn an, nehme ihn erst nach ein paar Minuten wirklich wahr. Meine Gedanken lösen sich, die Stirn verliert ihre Falten, die bis dato schmerzhaft angespannte Kiefermuskulatur entspannt sich. Eine Träne rollt über den Staub im Gesicht. Leicht tänzelnd wandert der Sonnenstrahl auf einem Gebüsch herum. Die kargen braunen Blätter scheinen nicht würdig ein solches Geschenk zu reflektieren und doch ist es der schönste Anblick den man sich wünschen kann. Wieder ein Hustenanfall. Schmerz zerreißt meine Brust. Ich röchele, spucke um mich. Blut fließt in den Dreck. Ungläubiges Erstaunen. Trauer. Nicht um mich. Um den Sonnenstrahl. Um die Welt.
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post 23 Jul 2006, 18:44
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Zirpende Grille
*********

Punkte: 3688
seit: 17.06.2004

Wieder mal ein kleines Gedicht zur Auflockerung:

Der Tropfen
Ein kleiner Tropfen
hing an einem Blatt.
Das Wetter war trüb,
die Luft war satt.

Das Blatt vibrierte,
es kam eine Wanz.
und zerstörte des Tropfens
schimmernden Glanz.
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post 24 Jul 2006, 14:02
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1. Schein
*

Punkte: 42
seit: 10.06.2006

Ja, ja .. bei dieser Hitze wollen sogar dem Stift keine Worte einfallen ..



Mutter

Es ist Amoniak, die Nase merkt es sofort
doch heute wieder frisch
weil schon zu lange nicht mehr an diesem Ort

Ob sie schläft, weiß ich nicht
Ob ich ihr Sohn bin
hat sie schon früh vergessen, doch meine Pflicht

Alles was ich sehe; Speichel, Haar und Rotz
der Raum damit ganz ausgefüllt
Meine Hand erhoben, ein Gruß zum Trotz

Der Rollstuhl wie immer, er trägt sie zur Zier.
Oh, Mutter
bin ich doch nicht nur wegen dem Gelde hier.


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post 06 Aug 2006, 23:04
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2. Schein
**

Punkte: 109
seit: 12.10.2005

Meine Schwester fliegt nach Australien


Meine Schwester fliegt nach Australien. Sie hat es mir gerade am Telefon erzählt. Heute. Es ist Sonntag, ich konnte nur leise entgegnen, dass ich das sehr schön finde. Natürlich freue ich mich für meine Schwester, schließlich hat sie mir immer geholfen, hat mir schon damals die Welt der Erwachsenen erklärt, als ich das noch für das ganz große Abenteuer hielt. Jetzt, wo ich vor lauter erwachsen werden kaum noch ohne Schuldgefühle kindisch sein kann, erfahre ich, dass sie sich einen großen Traum erfüllt. Und nun? Ich könnte so tun als wäre mir das völlig egal, hätte sie mir das nicht schon vor Jahren ausgetrieben. Ignoranz, hat sie gesagt, wäre noch schlimmer als Neid, ja sogar Hass sei eine ehrlichere Gefühlsregung als solch ein Desinteresse. Nervös kaue ich mir einen Fingernagel ab, schnipse ihn quer durch das Zimmer und denke nach wie es wohl ist, dort in Australien, dem Land auf der anderen Seite der Welt. Da sehe ich meine Schwester wie sie durch endlose rote Weiten reist, sich abends an einem warmen Lagerfeuer zusammenkauert und sich Geschichten über Länder anhört, die wiederum ganz weit weg sind von Australien – Rucksacktouristen neigen zu Reisenostalgie – und in mir steigt Abenteuerlust auf. So ehrlich dieses Gefühl auch ist, es wurmt mich und ich wünschte, meine Schwester hätte ihren Mund gehalten. Warum muß sie überhaupt irgendwohin fliegen? Warum nach Melbourne frage ich sie prompt. Sie ist noch am Telefon, ich wäre seit einigen Minuten so schweigsam raunt sie in ihre Seite des Hörers. Nun, Melbourne sei die Stadt von der sie gelesen hat, dass sie ein Märchen wäre, auch für den der aus Sydney kommt. Und aus Sydney kämen sie alle hat sie gesagt. Meine Schwester hat ein Buch gelesen in dem stand geschrieben, dass Sydney so aussieht als hätte man aus einem gigantischen Becher Tausende von Würfeln auf eine bizarr gezackte, von Hügeln umsäumte Bucht geschüttet, unbekümmert darum, ob der eine oder der andere Würfel ins Meer fiel oder am Felsenrand hängenblieb; meine Schwester holt erneut tief Luft; dann stapfte ein Riese durch das bewürfelte Land und schuf so die Serpentinenstraßen am Hafen. Und wo er hinschiß, ist die City. Genau so hat sie es gesagt und am Schluß hat sie gelacht, wahrscheinlich weil sie sich bildlich vorgestellt hat wie so ein Riese einen gigantischen Haufen scheißt und diesen zur Innenstadt erklärt. Ich mußte auch kurz lachen, da ich ebenfalls nicht finde, dass Riesenscheiße ein geeignetes Material zum Bauen von Städten ist, schon gar nicht von Innenstädten. Also fliegt meine Schwester lieber nach Melbourne, jetzt liegt das ganz klar auf der Hand. Das Buch in dem Sydney als Exkrementauswurf eines würfelnden Riesen beschrieben wird, erklärt aber auch warum Melbourne auf Menschen, auch auf die aus Sydney, so feenhaft wirkt. Melbourne sei durch einen Feenkönig (natürlich!) sorgsam erdacht worden bevor er es hinzauberte, und hernach hüpften seine Töchter über die Wege und bestreuten sie mit unsäglich bunten Beeten und Blumen und Sträuchern. Wieder ein Lachen auf beiden Seiten des Hörers, diesmal verschlucke ich mich fast an meinem Kaugummi. Melbourne klingt ganz nach einer Menge Spaß, auch für Menschen die nicht aus Sydney kommen. Als meine Schwester auflegt schließe ich meine Augen. Ich sollte auch mal wieder lesen.
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post 09 Aug 2006, 14:38
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Neuling


Punkte: 2
seit: 08.08.2006

ich betrachte sie
meist kann ich gar nicht anders
ausgefüllte zeit - nur mit ihr
wie sie da liegt
so friedlich

ich habe ihr diesen frieden geschenkt

augen geschlossen mund steht offen
küsse ihn sacht
ihre haare verteilt über das kissen
verspielte zufälle

die finger so weich müde und kraftlos
kann sie streicheln

sie gehört nun nur mir

deck dich zu
damit du nicht frierst
nie mehr sollst du leiden
bist auf ewig meine schöne

graue gedanken
wie lange vermag ich sie noch zu halten
den verfall hält niemand auf

in einigen tagen wird sie anfangen zu stinken.


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er wird abwischen alle tränen von ihren augen und der tod wird nicht mehr sein
ProfilPM
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